Manchmal dauert es etwas länger. Den "Käßmann-Moment" hat der deutsche Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) verpasst. Nicht gleich nach Bekanntwerden von Verfehlungen trat er - wie einst die Chefin der evangelischen Kirche in Deutschland nach ihrer Alkoholfahrt - zurück. Er quälte sich, Teile der Regierung und viele Deutsche noch tagelang.

Jetzt hat er doch noch hinbekommen, was Schachspieler Positionsgewinn durch Figurenverlust nennen. Natürlich sind Schock und Bedauern bei CDU/CSU groß. Und dennoch war schon seit Tagen klar: Guttenberg ist nicht zu halten. Zu massiv war die Last für ihn selbst geworden, auch für das Verteidigungsministerium, die deutsche Bundesregierung, die schwarzen Schwestern CDU und CSU.

Guttenberg hat eine Dissertation zusammengepfuscht, die diese Bezeichnung nicht ansatzweise verdient. Ideen anderer wurden als eigene ausgegeben, Quellen verschwiegen, grob hat Guttenberg gegen den Ehrenkodex der Wissenschaft verstoßen.

Zunächst trat der Minister Flucht nach vorne an: alles zugeben, demütig Fehler eingestehen, Doktortitel abgeben, weitermachen. Kanzlerin Angela Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer standen hinter ihm. Sie wollten den beliebtesten Politiker Deutschlands nicht fallenlassen. Der CSU hat er zu neuen Höhen in Meinungsumfragen verholfen, und auch die CDU wollte ein wenig von seinem Glanz und Glamour abbekommen.

Doch die Rechnung ging nicht auf, was durchaus im Sinne von demokratiepolitischer Hygiene ist. Denn auf Dauer reichen eben doch der Rückhalt der Bild-Zeitung und dass einer im Fernsehen so fesch und schneidig daherkommt nicht aus. Ein Ministerposten im Kabinett ist kein Recall-Ticket für Deutschland sucht den Superstar. Politik muss Werte wie Ehrlichkeit und Glaubwürdigkeit vermitteln. Das konnte Guttenberg nach allem, was geschehen war, nicht mehr.

Und auch Merkel war die innere Verrenkung anzusehen, als sie behauptete, sie habe ja keinen wissenschaftlichen Mitarbeiter, sondern einen Verteidigungsminister in ihr Kabinett berufen. Die Opposition hatte sich schon darauf eingerichtet, Guttenberg in den kommenden Monaten permanent in die Mangel zu nehmen und ihn und seine Taten an seinen eigenen hohen Ansprüchen zu messen.

Ein unerträglicher Zustand drohte der Koalition, denn noch schlimmer, als gar keine Lichtgestalt im Kabinett zu haben, ist: eine Lichtgestalt a. D. an Bord zu haben, die ihren Job vor lauter Selbstverteidigung nicht mehr zufriedenstellend ausüben kann.

Der Schnitt mag für Merkel und auch CSU-Chef Seehofer schmerzlich gewesen sein, notwendig war er allemal. Der nächste Verteidigungsminister wird nicht aus der Abteilung "Glanz & Gloria" kommen, er wird die von Guttenberg eingeleitete Bundeswehrreform samt Aussetzung der Wehrpflicht umsetzen müssen, das alleine ist Arbeit genug.

Was aber wird aus dem beliebten Minister? Man weiß es heute noch nicht, die CSU will dem 39-Jährigen möglicherweise eine Hintertüre in die Politik offenlassen. Es wäre nicht das erste Comeback. Cem Özdemir, der einst dienstliche Bonusmeilen privat verflog, ist heute deutscher Grünen-Vorsitzender. Und Oskar Lafontaine gründete sogar noch eine Partei. Aber zwischen Rücktritt und Rückkehr lagen jeweils ein paar Jahre Pause. Das sollte Maßstab für Guttenberg sein.  (DER STANDARD, Printausgabe, 2.3.2011)