Was hat der tunesische Islamistenführer Rached Ghannouchi mit einer Tomate gemein? Nichts, sollte man denken. Ein Blick in Facebook belehrt einen eines Besseren. Der Veteran der Bewegung Ennahda und eine handelsübliche Tomate kämpfen dort um die Sympathie der jungen TunesierInnen. "Pour que cette tomate aie plus de fan que Rached Ghannouchi" - "Damit diese Tomate mehr Fans hat als Rached Ghannouchi" heißt eine populäre Seite im sozialen Netzwerk. Knapp 20.000 Internauten folgen der Seite. Zwei der 10 Millionen Einwohner des nordafrikanischen Landes sind bei Facebook eingeschrieben.

Unsere Tomate lacht, tanzt und hält Reden gegen eine religiös geprägte Gesellschaft. Sie tritt für eine strikte Trennung von Staat und Religion im neuen, Nach-Ben-Ali-Tunesien ein. Und verteidigt die Rechte der Frau. Die Mitglieder der Seite posten Interviews und Erklärungen einfacher TunesierInnen und von Analysten und Politiker unterschiedlichster Couleur, von Tarik Ramadan bis zu Martin Luther King. Sie alle lassen sich über die Rolle der Religion in einer modernen Gesellschaft aus. Ergänzt wird das ganze mit Clips, die Islamisten zeigen, wie sie offen die Polygamie verteidigen oder Antidemokratisches von sich geben. Videos berichten vom Iran. Das ganze wird aufgelockert durch Karikaturen, Musikvideos von Cheb Khaled bis John Lennon. Lebhafte Debatten begleiten jeden Post.

"Tunesien ist kein PC. Hier kann nicht einfach jedes Programm installiert werden", beurteilt ein Internaut die neue Linie Ennahdas, nach der sie ein System wie in der Türkei anstrebt, wo die dortige Schwesterpartei AKP, die bei demokratische Wahlen an die Macht kam.

Eine erste repräsentative Umfrage in Tunesien vom 28. März gibt zwar keine Auskunft über die Beliebtheit unserer Tomate, aber sehr wohl über das Verhältnis der TunesierInnen zu Rached Ghannouchi und seiner Ennahda. Der Islamistenführer ist nach dem Chef der Übergangsregierung Beji Caied Essebsi der bekannteste Politiker des Landes. Doch diese Popularität nutzt ihm wenig. Denn auf die Frage, von welchem Politiker sie sich am weitesten entfernt fühlen, antworten in allen Alters- und Berufsgruppen zwischen 45 und 62 Prozent ebenfalls "Rached Ghannouchi". Und nur 6,9 Prozent halten den Islamisten für "den rechtschaffensten oder ehrlichsten" Politiker des Landes.

Wer Französisch oder Arabisch kann, ist herzlich eingeladen, die streitbare Tomate zu unterstützen. (Reiner Wandler, 1. April 2011)