Ulrichsberg - Auch Ulrichsberg ist nicht mehr, was es einmal war. Da begibt man sich in den Norden der Mühlviertler Outbacks, dorthin, wo sich Wildschwein und sogar wieder Luchs gute Nacht sagen, um in der Kantine des Jazzateliers cholesterinfreudigen Deftigkeiten zu frönen. Und siehe da: Selbst dort hat der Zeitgeist in Gestalt von Omega-3-Fettsäure-hältigem, kaltgepresstem Leinöl (und g'schmackigen "Leinölerdäpfln") Einzug gehalten.

Abgeschlankt, ohne viel Prominenz präsentierte sich auch das "Kaleidophon". Man rückte vor allem Newcomer aus dem weiten Feld der Improvisation ins Zentrum: Talente wie Kalifornierin Liz Allbee, die aus farbenreich ploppenden Trompetenklängen, Computer-Sounds und entrückten Song-Vokalisen melancholische Collagen bastelt. Oder wie den Violinisten Darragh Morgan, der im Stück DDD von Jürgen Bräuninger mit volkstanzartig rhythmisierten Flageolett-Patterns gegen elektronisch generierte Seemöwenrufe anspielte. Und all diese trashigen Umtriebe mit einem gekonnt intonierten Abstrich interpunktierte; so, als würde eine seit 100 Jahren nicht geölte Türe geöffnet.

Auch der freien Improvisation wurde gefrönt: Während Frank Gratkowski, Simon Nabatov und Marcus Schmickler ihre Energien unpräzis verfeuerten, demonstrierten Roland Dahinden und Hildegard Kleeb exemplarisch, wie spontane Interaktion beglücken kann: indem jeder Ton bewusst gesetzt, keiner verschenkt wird, indem beide ihrer eigenen Spur folgen und doch auf den anderen hören. Da konnte Dahinden mitunter dem Alphorn in den Rachen greifen, um dort mit dem Jazzbesen Erinnerungen an verwehte Rhythmen wachzurufen. In Momenten wie diesen schien die große Welt im kleinen Ulrichsberg den Atem anzuhalten. (felb, DER STANDARD - Printausgabe, 2. Mai 2011)