Vor einigen Tagen hat die Nato ihre Taktik in Libyen umgestellt: Die vom Nordatlantikpakt geführte Allianz fliegt zum Schutz von Zivilisten nicht mehr bloß Luftangriffe auf militärische Ziele. Zusätzlich springen britische, französische und italienische Militärberater den Rebellen bei, patrouillieren US-Drohnen über Libyen, werden Muammar al-Gaddafis Kommunikations- und Kommandoinfrastrukturen ins Fadenkreuz genommen.

Gebracht allerdings hat das einstweilen wenig. Sechs Wochen nach Beginn der Angriffe auf das libysche Regime "gibt es keinen großen Unterschied zur Situation am Beginn des Krieges", sagt etwa François Heisbourg, der Vorsitzende der renommierten Denkwerkstatt International Institute for Strategic Studies in London.

Der Grund dafür ist ein "Gaddafi-Dilemma" : Ein Ende des Krieges ist ohne ein Ende des Revolutionsführers nicht absehbar. Weil die Libyer dieses Ende nicht selbst herbeizuführen imstande sind, will es die Allianz in die Hand nehmen. So lautete zumindest die gemeinsame Regimewechsel-Ankündigung gleich dreier Staatsmänner - Barack Obamas, Nicolas Sarkozys und David Camerons - vor zwei Wochen. Die Angriffe auf Gaddafis Kommandozentrale in Tripolis vom Wochenende lösen diese politischen Absichtserklärung nun mit militärischen Aktionen ein.

Ob die Nato dabei den Tod des Obristen bewusst anstrebt oder nur billigend in Kauf nimmt, ist vorderhand ebenso schwer zu verifizieren wie die Nachricht vom Tod eines Gaddafis-Sohnes. Fest steht nur: Gaddafi kann den Krieg nicht gewinnen, aber die Allianz könnte ihn verlieren. Vor allem, wenn er länger dauert und die ohnehin wenig tragfähige öffentliche Unterstützung dafür zu bröckeln beginnt. Deswegen ist die Nato genötigt, rasch auf einen entscheidenden Schlag zu drängen, soll die Operation "Odyssey Dawn" doch noch so etwas wie ein Erfolg werden.

Allein: Nach internationalem Recht ist die gezielte Tötung von Staatschefs illegal. Auch wenn Gaddafis Schergen in Misurata wüten, die UN-Resolution 1973 zum Schutz der Zivilbevölkerung "mit allen nötigen Mitteln" autorisiert ein solches Vorgehen völkerrechtlich keinesfalls. Andererseits fällt es schwer zu argumentieren, dass der Tod Gaddafis nicht doch legitim wäre, also durch die Umstände berechtigt und moralisch vertretbar, um weitere Gräueltaten abzuwenden.

Umstände aber gibt es auch andernorts: In Syrien wird eine Revolte mindestens so brutal wie in Libyen niedergemacht, in Bahrain werden Aktivisten unter den Augen der dort stationierten 5. US-Flotte massakriert. Vorerst ist aber niemand auf die Idee gekommen, die Verantwortlichen dort zu bombardieren. So hat das Gaddafi-Dilemma auch mit zweierlei moralischem Maß zu tun, das sich der Westen nach der überhasteten Intervention zu Recht vorhalten lassen muss. Ganz abgesehen davon, dass es daneben - siehe Irak - auch keinerlei Garantie dafür gibt, dass sich ein Konflikt löst, sobald der Kopf eines Regimes fällt. (Christoph Prantner/DER STANDARD, Printausgabe, 2.5.2011)