Thomas Bräuniger.

Foto: FH St.Pölten/Marlene Linsenbolz

STANDARD: Welche Anforderungen müssen Szenenbilder von Telenovelas und Daily Soaps erfüllen?

Bräuniger: Sie brauchen Räume, in denen möglichst viele Leute an einem Ort zusammentreffen können, so genannte Meeting Points. Dafür eignen sich Wohnungen, Arbeitsräume oder Cafés. Diese Sets sind in jeder Telenovela und in jeder Soap zu finden. Genauso entscheidend ist die soziale Komponente: Bei den "Reichen" gibt es größere Räume als bei den "Armen" oder "Normalen". Dort reichen Küche, Wohn- und Schlafzimmer - am besten in einem Raum: Das ist wichtig, um möglichst flüssig in einem Raum inszenieren zu können.

STANDARD: Gibt es bevorzugte Telenovela-Farben?

Bräuniger: Die Vorgabe lautet, dass alles romantisch sein soll, also verwendet man gülden, rot, warme, pastellige Töne. Bei Soaps soll in letzter Zeit alles realistischer werden, da sind andere Oberflächen gefragt.

STANDARD: Wie oft schreibt der Drehplan bei Langzeitsoaps wie "Gute Zeiten, schlechte Zeiten" Totalrenovierung vor?

Bräuniger: Nach ungefähr tausend Folgen, also alle fünf Jahre, wird umgebaut. Logistisch ist das ein Riesenaufwand. Weil jahrein, jahraus produziert wird, muss man bei einem Umbau entweder auf viele Sets verzichten, was die Autoren sehr einschränkt. Oder man geht in ein Ausgleichsstudio, das extra Geld kostet. So wird wirklich nur dann renoviert, wenn Sets kaputt sind oder es ganz neue Geschichten gibt.

STANDARD: Kann es passieren, dass aufmerksame Zuschauer ein und dasselbe Requisit in zwei verschiedenen Telenovelas entdecken?

Bräuniger: Es kommt vor, dass Requisiten in einem hausinternen Fundus eingelagert werden, wo dann tatsächlich andere Produktionen zugreifen können. Szenenbildner achten darauf, dass besonders markante Möbelstücke nicht zwei Mal eingesetzt werden, weil der Wiedererkennungswert tatsächlich zu hoch wäre.

STANDARD: Wie definieren Sie Ihre persönliche Handschrift?

Bräuniger: Meine Szenenbilder werden hoffentlich an einer Stimmigkeit und am guten Geschmack erkannt. Ich mag das Design der 50er-, 60er- 70er-Jahre und versuche allzu Trendiges zu umschiffen. Wir bekommen jede Menge Möbel aus der Industrie angeboten, meistens sind sie nicht wirklich verwertbar, so dass ich das regelmäßig ablehnen muss. Die persönliche Handschrift kann bei Serien nur sehr viel weniger ausgeprägt sein, weil viele mitreden. Zuerst die Redaktion, die oft konkrete Vorstellungen hat, wie was sein soll und dann natürlich die Produzenten. Mit ihnen allen muss man sehr oft verhandeln. Die Kunst des Szenenbildes bei einer Serienproduktion ist, die Interessen aller unter einen Hut zu bringen und am Ende arbeitsfähige Sets zu haben.

STANDARD: Stört die Redaktion?

Bräuniger: Ich persönlich hatte noch nie Probleme, aber ich kenne Kollegen, für die es schwierig war, weil Redakteure nicht das Vertrauen in den Szenenbildner hatten, sondern alles nach ihrem Gusto geändert haben wollten. Redakteure wissen vielleicht, was der Zuschauer will, aber nicht, welche Details im Produktionsprozess zu beachten sind. Es ist schade, weil das die künstlerische Freiheit behindert.

STANDARD: An Kunst würden viele bei Telenovelas nicht denken?

Bräuniger: Die große Kunst bei Telenovelas und Soaps ist, den Produktionsflow zu gewährleisten. Von einer Soap wird bis zu 115 Minuten pro Woche produziert und bei Telenovelas sind es noch mehr. Das muss wie ein Uhrwerk funktionieren.

STANDARD: Wie hat HD den Produktionsprozess verändert?

Bräuniger: Der Workflow hat sich verändert, weil mit anderen Kameras gearbeitet wird. Bei GZSZ stellten wir von einem Drei- zu einem Zweikamerasystem um. Dafür ist der Schnitt aufwändiger geworden. Die Gewichtung der Arbeit ist anders: Früher störte ein bisschen Staub am Tisch, heute sieht man jedes Staubkorn. Schlimmstenfalls muss man nach jedem Take Staubwischen.

STANDARD: Um die unreine Haut der jungen Darsteller kümmert sich weiterhin die Maske?

Bräuniger: Das ist das größte Problem, auch Etablierte sagen, die hochauflösenden Kameras sind der größte Feind des Schauspielers. Hier fehlt eine Ausbildung in Camera Acting: Wir haben ein größeres Problem mit dem Licht, die Schärfen müssen klarer gezogen sein. Der Schauspieler muss seine Marke hundertprozentig treffen. Während er darauf zugeht, muss er seinen Text sprechen können und das gleich mehrmals, denn weil wir eine Kamera weniger haben, brauchen wir mehr Durchläufe. Die Genauigkeit im Spiel haben die meisten der Jungdarsteller nicht gelernt.

STANDARD: Wie wird 3D den Produktionsprozess verändern?

Bräuniger: Die Aufnahmetechnik ist wesentlich aufwändiger, es braucht mehr Licht und andere Kameras. Maske, Kostüm oder Ausstattung sind weniger betroffen. Ich bin allerdings skeptisch, ob sich 3D durchsetzen wird.

STANDARD: In den USA werden Langzeit-Dailysoaps reihenweise eingestellt. Halten Sie ein Ende von „Gute Zeiten, schlechte Zeiten" in absehbarer Zeit für möglich?

Bräuniger: Vorläufig nicht, weil es im Moment zu dieser Sendezeit kein Konkurrenzprogramm gibt. Ich gehe aber davon aus, dass Produktionsfirmen in Zukunft mehr on location gehen und immer weniger im Studio produzieren. Das könnte Auswirkungen haben.

STANDARD: Wieso das?

Bräuniger: Studios sind sehr teuer, Sender wollen die Preise drücken, es wird auf die Minute abgerechnet, und wenn man irgendwann unter einem bestimmten Preis ist, rentiert sich ein Studio nicht mehr. Mit neuen Kameratechniken kann ich in jeder Wohnung zu jeder Tages- und Nachtzeit drehen: Das wird die Zukunft.

STANDARD: Der Nachbar vermietet seine Wohnung für ein halbes Jahr, damit die nächste Telenovela gedreht werden kann?

Bräuniger: So ungefähr, wir mieten uns eine Wohnung mit schönem Ausblick und drehen darin den ganzen Tag. Wenn da ein Vogel vorbei fliegt oder ein Radfahrer fährt, schaffen wir ein viel realistischeres und natürlicheres Set ting als im Studio. Wir stehen am Beginn eines Wandels, den die Technik möglich macht. (Doris Priesching/DER STANDARD; Printausgabe, 2.5.2011/Langfassung)