Brüssel/Tripolis - Die NATO hat ihren Plan für den Militäreinsatz in Libyen bis in den Herbst verlängert. Der NATO-Rat beschloss am Mittwoch in Brüssel, den bisher bis zum 27. Juni geltenden Einsatzplan um 90 Tage zu verlängern, wie Diplomaten mitteilten. Die libysche Hauptstadt Tripolis ist in der Nacht auf Mittwoch erneut von sechs schweren Explosionen erschüttert worden.

Wie ein Reporter der Nachrichtenagentur AFP berichtete, überflogen Kampfflugzeuge die Stadt. Kurz darauf erfolgten zwei Explosionen, gefolgt von vier weiteren im Abstand von wenigen Minuten. Die Ziele der Angriffe waren demnach zunächst unklar.

Die NATO fliegt seit Mitte März fast täglich Einsätze gegen den libyschen Machthaber Muammar al-Gaddafi, um so Angriffe seiner Truppen auf Zivilisten zu verhindern. Zuletzt war auch mehrfach Gaddafis Residenz angegriffen worden. Der Militäreinsatz "Unified Protector" (Vereinigte Schutzmacht/Geeinter Beschützer) stützt sich auf ein Mandat des UNO-Sicherheitsrats. Der bisherige Einsatzplan hatte eine Gültigkeit für 90 Tage, ohne dass dadurch ein Ende des Einsatzes vorgegeben worden wäre. Im NATO-Rat sind die Botschafter der 28 Mitgliedsländer vertreten.

Mit der Verlängerung setzte die Militärallianz ein Zeichen an Gaddafi, der seit Wochen mit seinen Truppen gewaltsam gegen Aufständische vorgeht. NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen erklärte: "Wir sind entschlossen, unseren Einsatz zum Schutz der libyschen Bevölkerung fortzusetzen. Wir werden den Druck aufrechterhalten, um diesen Einsatz zu Ende zu führen." Die Botschaft an das libysche Volk laute: "Wir kämpfen geeint, um sicherzustellen, dass Sie die eigene Zukunft gestalten können. Und dieser Tag rückt näher."

An dem Einsatz sind insgesamt 17 Staaten mit knapp 200 Flugzeugen und 18 Schiffen beteiligt. Er besteht außer den Luftschlägen (bisher rund 3.500) auch aus einer Seeblockade und einem Waffenembargo gegen Gaddafi-treue Truppen.

Der Führung in Tripolis zufolge kamen bei den Angriffen der NATO bisher mindestens 718 Zivilisten ums Leben. 4067 weitere seien zwischen dem 19. März und dem 26. Mai verletzt worden, erklärte Regierungssprecher Moussa Ibrahim. Einen Machtverzicht Gaddafis schloss er erneut aus. Dies sei das "schlimmste Szenario" für das Land, sagte Ibrahim, der zugleich vor einem Bürgerkrieg warnte. Mit Gaddafi würde Libyen sein "Sicherheitsventil" verlieren.

Zur Niederschlagung des Volksaufstands setzt Gaddafi einem Rebellen-Sprecher zufolge zunehmend auf Kriminelle. In der strategisch wichtigen Hafenstadt Zlitan (Slitan) würden die Regierungstruppen Verbrecher bewaffnen, deren Aufgabe es sei, Aufständische festzunehmen und die Einwohner einzuschüchtern, sagte der Sprecher am Dienstagabend der Nachrichtenagentur Reuters in einem Telefongespräch.

Die Verbrecher würden mit automatischen Waffen und Handgranaten ausgestattet, mit denen sie die Bevölkerung bedrohten. Es gebe auch Berichte über Vergewaltigungen. Von unabhängiger Seite konnten die Angaben nicht überprüft werden. Zuletzt hatte es aber auch aus anderen Teilen Libyens Berichte von Zeugen gegeben, dass die Regierungstruppen Kriminelle und Schläger rekrutierten.

Nach Einschätzungen von Diplomaten des beim NATO-Einsatz federführenden Frankreich sind allein im Großraum Tripolis in den vergangenen drei Monaten bis zu 10.000 Menschen getötet worden. Machthaber Gaddafi betreibe in der libyschen Hauptstadt eine Politik der verbrannten Erde, berichtete die regierungsnahe französische Zeitung "Le Figaro" unter Berufung auf diplomatische Kreise. Eine offizielle Bestätigung der Zahlen gab es zunächst nicht.

Etwa 20.000 Menschen seien bereits festgenommen worden. Es reiche aus, den in Katar ansässigen Nachrichtensender Al-Jazeera anzuschalten, um festgenommen zu werden; Telefone würden abgehört. Gaddafi benutze zudem Häftlinge als menschliche Schutzschilder. Seine Anhänger schreckten nicht einmal davor zurück, die Krankenhäusern zu plündern und zu verwüsten. (APA/Reuters)