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Otto Sander.

Foto: APA/Peter Endig

Ich bin Jahrgang 1941, damals war es so, dass rothaarige Kinder gehänselt wurden. Ich habe jetzt noch Albträume vom Kindergarten. Aber das hatte nichts mit den roten Haaren zu tun, sondern ich habe mich da nicht wohlgefühlt. Ich war im Kindergarten immer allein. Heute hat sich die verächtliche Haltung den Rothaarigen gegenüber gänzlich gewandelt.

In der Grundschule, in Peine bei Hannover, fing es damit an, dass man hinter mir her rief: "Fuchs und keine Flinte" oder "Einer hat in den Ventilator geschissen und du hast auf der falschen Seite davor gestanden" - wegen der Sommersprossen. Peine war eine Kleinstadt, und am Hauptplatz gab es eine Apotheke, in der es "Schwanenweiß" zu kaufen gab. Diese Creme habe ich mir heimlich von meinem Taschengeld gekauft (lacht) und habe mir diese Creme ins Gesicht geschmiert, damit diese blöden Sommersprossen weggehen. Es hat überhaupt nicht geholfen.

Schwanenweiß ist letztlich nur ein Sonnenschutzmittel. Außer dem Experiment mit Schwanenweiß habe ich keine Öle verwendet. Ich habe später Sonnenschutzmilch genommen. Ich segle gerne, und das Wasser reflektiert die Sonne stark. Meine Haut ist darauf besonders empfindlich. Dicke Sonnenöle habe ich immer verabscheut.

Später ist es ein Horrortrip gewesen, an den Strand zu gehen und sich vor diesen braungebrannten Menschen auszuziehen. Furchtbar. Ich bin immer mit Hemd und langen, luftigen Shorts herumgerannt. Als ich jünger war, wollte ich genauso braun werden wie die anderen. Deswegen gab es dann immer diese schrecklichen Sonnenbrände. Fürchterlich, jetzt lacht man darüber, aber die Kinderseele hat es angegriffen.

Ich hatte garantiert das Gefühl, ausgestoßen und ausgegrenzt zu sein. Meine Mutter hat mir später berichtet, dass ich oft heulend nach Hause gekommen bin, weil man mich wieder gehänselt hatte. Ich muss zu der Zeit ungefähr acht, neun oder zehn Jahre alt gewesen sein. In diesem Alter war es am schlimmsten, weil die Haarfarbe noch am stärksten geleuchtet hat. Erstmals war ich zutiefst traurig. Aber später habe ich den Spieß umgedreht. Ich habe extra auf Clown gemacht, um diesem Spott zuvorzukommen. Ich habe immer Quatsch und Blödsinn gemacht, um mich selbst zu schützen. Ich habe den Klassenclown abgegeben. Man hat dann berechtigt über mich gelacht und mich nicht mehr ausgelacht.

Ich weiß noch, dass ich kurz vor dem Abitur fünf Wochen in England war. Ich habe mich dort spontan wohlgefühlt. Keiner lachte über mich, weil in England viele Leute ähnlich wie ich aussehen. Ich habe mich dort so wohlgefühlt, dass ich zum anglophilen Menschen geworden bin. Vielleicht ist es auch die Art der Engländer, mit andersfarbigen Menschen umzugehen. Ich fand das großartig: Viele Rothaarige, viele Sommersprossige um mich herum. Keiner guckte mir auf der Straße nach. Vielleicht habe ich mir das auch nur eingebildet. In England fiel alles von mir ab. Ich bin befreit durch die Straßen spaziert. Dieses Gefühl der Freiheit habe ich nie vergessen.

Alle tobten draußen umher, und ich saß zu Hause. Es war einfach zu heiß, zu viel Sonne, ich konnte nicht rausgehen. Ich habe an heißen Sommertagen zu Hause gesessen und gelesen. Man kann nicht immer mit einer langen Hose umherrennen, wenn alle anderen leicht bekleidet sind. Man macht sich ja lächerlich. Heutzutage kann man die empfindliche Haut mit schicken Leinenanzügen viel besser kaschieren. Das hätte man damals auch schon mit mir machen können, aber diese Kleidung gab's nur nicht. Es gab nur Lederhosen.

Im 19. Jahrhundert hätte man leben müssen. Man wäre als Rothaariger nicht so aufgefallen. Im vorigen Jahrhundert waren die Menschen bis obenhin bekleidet, auch am Strand. Ich habe immer gedacht, das wäre eine gute Mode.

Es kam noch die Militärzeit auf mich zu. Das ist so eine komische Männergesellschaft. Man muss sich auch mal im Waschraum ausziehen. Und ich habe immer gedacht: "Um Gottes willen, jetzt gucken sie mich alle an." Alle anderen hatten Haare auf der Brust, die sie aus den Matrosenhemden herausbürsten konnten. Bei mir waren keine Haare auf der Brust, nur Sommersprossen, schrecklich. Es gibt ein hervorragendes Gedicht von Ringelnatz, der diese Erfahrung beschreibt. Die ganze Männlichkeit ist schrecklich, und in der Pubertät wird es noch schlimmer. Ein Kainsmal zu haben, falsch gebaut zu sein. Der eigene Körper passt nicht in die vorgegebene Ordnung.

Die sündigen und die Blut aussaugenden Weiber sind bei Munch komischerweise alle rothaarig. Ich weiß nicht, was Munch in diesem Bereich für eine Macke hatte. Bei Munch gibt es viele Eifersuchtsbilder. Bei Munch sind immer die Männer eifersüchtig, denn vom Klischee her sind es ansonsten die Frauen. Bei Munch träumen die Männer, dass die Frau mit einem anderen Mann abhaut. Die Sünde hat bei Munch schwere, lange rote Haare, die wie Spinnennetze über die Körper der Männer gehen. Auf dem Bild Loslösung, die abgebildete Frau ist nicht rothaarig, fallen die langen Haare der Frau über den Rücken des Mannes. Es gibt noch ein zweites Bild aus einer anderen Perspektive, es heißt auch Loslösung, auf dem Mann und Frau noch näher beieinander stehen.

Der Rothaarigenboom Anfang der 80er-Jahre kam für mich zu spät. Ich konnte davon nicht mehr profitieren. Ich hatte mich zu diesem Zeitpunkt schon daran gewöhnt, dass ich so bin, wie ich eben bin. Erst als ich über 30 war, habe ich die Haare lang getragen. Aber zu diesem Zeitpunkt waren meine roten Haare schon ein bisschen dunkler geworden und fielen daher nicht mehr so auf.

Mein Vater sagte immer: Oh, das macht doch nichts. Guck mich an, ich hatte früher auch rote Haare, und jetzt habe ich normales, mittelblondes Haar. Bei den Bewerbungen habe ich als Haarfarbe immer rötlich geschrieben. Nicht Rot, sondern rötlich. Blaugrüne Augen und vollschlank, habe ich noch geschrieben. Ich wusste nicht, dass vollschlank dick bedeutet. Ich wurde zum Vorsprechen eingeladen, und dann hieß es: Wir suchen doch einen Dicken. Ich habe also immer "Rotblond" oder "rötlich" angegeben, aber Rot nie. Rot gibt es auch gar nicht, darf es gar nicht geben.

Ich hatte jahrelang einen Schnauzer. Kaum war ich vom Militär weg, wo man die Haare kurz, anständig, adrett und sauber haben musste, kaum war der Grundwehrdienst abgegolten, habe ich mir gleich einen Bart wachsen lassen - aus Protest gegen das Militär. Diesen Bart habe ich noch bis vor ein paar Jahren gehabt. Der rotblonde Schnauzer war mein Markenzeichen. Es hat mich ganz viel gekostet, diesen Bart wegzumachen. Denn ich hatte mindestens 15 Jahre einen Bart.

Es gibt den berühmten Spruch: Rote Haare, Sommersprossen sind des Teufels Volksgenossen. Das wurde hinter mir hergerufen - aber immer in einer Gruppe, nicht einzeln. Eine Gruppe von drei, vier, fünf Kindern, die diesen Spruch voller Spott sangen - und ich war immer allein. Man traut den Rothaarigen nicht, weil sie notorische Lügner sind. Aber ich hatte dieses Vorurteil immer wettgemacht durch unschuldige Augen. Ein Lehrer, den ich auch mochte, sagte zu mir: "Sander, Sander, Unschuldsmiene verfängt nicht. Ich glaube Ihnen nichts."

Den rothaarigen Clowns passieren andauernd Missgeschicke. Die Leute können darüber lachen, weil sie sich in den Clowns erkennen. Sie sind selbst schon einmal umgefallen oder auf einer Bananenschale ausgerutscht. Es sind alles Gebrechen, über die man lacht. Die ganzen Feydeau-Komödien sind voll von Gebrechen: Sprachfehler, Humpelbeine. Die Zuschauer lachen sich darüber scheckig. Hat nicht Till Eulenspiegel auch rote Haare? Wenn ich an die Kindheit und die schwere Zeit der Jugend zurückdenke, sitzt das ganz tief in mir. Aber jetzt sind diese Verletzungen überwunden. (Klaus Dermutz und Otto Sander, DER STANDARD/Printausgabe ALBUM, 2./3. Juli 2011)