Im Büro von Staatsoperndirektor Dominique Meyer hängt ein Porträt von Gustav Mahler, dem wohl berühmtesten seiner Vorgänger: Zusammen mit Franz Welser-Möst (li.) zieht er Bilanz.

Foto: Fischer

Standard: Die Staatsoper meldet für die eben zu Ende gegangene Saison einen Auslastungsrekord von 98,33 Prozent und einen Einnahmenrekord von 29,53 Millionen Euro. Gratulation. Sie beide wirken zudem so einmütig. Konflikte gab oder gibt es keine?

Welser-Möst: Natürlich gibt es Meinungsverschiedenheiten. Es wäre entsetzlich, wenn das nicht so wäre - ich bin auch mit meiner Frau nicht immer einer Meinung. Ich finde aber eines wichtig: Es muss eine Letztverantwortung geben, und die hat Dominique Meyer. Es gibt keine Doppeldirektion, das haben viele missverstanden.

Standard: Gröbere Probleme gab es mit dem neuen Da-Ponte-Zyklus bzw. mit Regisseur Jean-Louis Martinoty. War das der größte Streit?

Meyer: Wir haben nie gestritten.

Welser-Möst: Es hat nie ein lautes Wort gegeben. Und noch was: Jede Produktion ist ein Risiko, und manchmal ist der Wurm drin.

Standard: Der Wurm war immerhin so groß, dass die "Così"-Premiere gestrichen wurde. Und Sie dirigieren nächste Saison auch keine einzige Mozart-Oper. Beim "Figaro" wollten Sie gerüchteweise schon aussteigen.

Welser-Möst: Meine Großmutter hat immer gesagt: "Wenn das Wörtchen wenn nicht wär." Tatsache ist, dass ich jede Figaro-Vorstellung dirigiert habe. Da hat es zwischen dem Regisseur und mir geknirscht. Aber was wäre gewesen, wenn ich ausgestiegen wäre? Na servus Gschäft! Ich wurde nicht für den Figaro engagiert, sondern als Generalmusikdirektor. Da muss man zu seinen Verpflichtungen stehen.

Meyer: Ich muss sagen, ich bin auch gezwungen, Produktionen anzusetzen, die ich nicht unbedingt mag. Da gibt es einige.

Standard: Das sind wohl die Zwänge des Repertoiresystem. Was sind sonst noch Ihre Erfahrungen im ersten Jahr als Direktor?

Meyer: Ich habe gesehen: Es gibt sichtbare Probleme mit den Repertoirevorstellungen, die nicht über Nacht zu beheben sind. Viele Ausstattungen sind nicht mehr ansehnlich, es gibt beispielsweise Produktionen, die man neu beleuchten muss. Nehmen Sie unsere Salome: Das Bühnenbild ist immer noch schön, die Regie kann man in zehn Tagen gut wiederherstellen, nur die Beleuchtung ist so, dass man kaum noch was sieht. Wir müssen also daran arbeiten, die Repertoireproduktionen zu renovieren. Mit Koproduktionen sparen wir Geld, und mit diesem werden wir die alten Sachen erneuern. Auch die neue Probebühne wird diesbezüglich Möglichkeiten schaffen.

Standard: Musikalisch waren Sie zufrieden? Manche Stimmen schienen ein bisschen klein.

Meyer: Man hat viel darüber berichtet - viel mehr, als es Fälle gab.

Welser-Möst: Man muss eben ausprobieren, sonst kann man immer nur die Domingos bitten, täglich zu singen. Und das wird schwierig. Wie viele Rollenbesetzungen machst du, Dominique, im Jahr?

Meyer: Es sind 70 verschiedene Besetzungen zu machen. Und wenn wir vom Musikalischen sprechen: Für mich ist auch entscheidend, dass es im Orchestergraben so gut funktioniert hat. Zwölf Dirigenten waren in dieser Saison neu.

Standard: Respekt. Wenn ein Dirigent zum ersten Mal an der Staatsoper arbeitet, kann es für ihn ja unangenehm werden.

Meyer: Ich begleite die Dirigenten immer zum Orchestergraben, und ich habe ein paar zittern gesehen. Sie müssen schon viel Mut haben.

Welser-Möst: Es gibt eben weltweit kein Opernorchester, das ein so großes Repertoire spielt und daher eine entsprechende Erfahrung hat. Wenn ein Neuer kommt, will es eben sehen, ob er sein Handwerk beherrscht. Aber das Orchester will niemanden scheitern sehen, es will ja, dass ein Dirigent Erfolg hat. Ich nenne keine Namen, aber das Orchester trägt Dirigenten, die Probleme haben, richtig durch die Vorstellung. Ich kenne keinen Musiker, der gerne eine schlechte Aufführung spielt.

Standard: Ihre Zusammenarbeit mit den Wiener Philharmonikern scheint ja gut zu funktionieren.

Welser-Möst: Die Beziehung hat sich vertieft. Es amüsierte mich, wenn man in dieser Saison zu mir sagte: "Sie machen ja gar nicht viel als Dirigent." Das ist eben die Kunst. Es ist vielleicht optisch beeindruckend, den Kasperl abzuziehen, das hat mit dem Musikresultat aber nichts zu tun. Bei diesem Orchester ist weniger mehr.

Standard: Sie haben ja auch ein großes Opernrepertoire. Könnten Sie nicht praktisch jeden Abend für einen Kollegen einspringen?

Welser-Möst: Also, mein Repertoire umfasst mehr als 60 verschiedene Opern. Darin sind aber nicht alle, die auf dem Spielplan der Staatsoper stehen. Da müssen Sie mir noch ein bisschen Zeit geben.

Standard: Kulturministerin Claudia Schmied will Ihnen beiden die Zeit geben. Man hörte, Sie hätten sich sogar geärgert, da sie schon so früh kundgetan hat, Ihre beiden Verträge verlängern zu wollen.

Welser-Möst: Ich finde es lustig, dass die Leute mich interpretieren. Ich dachte, interpretieren sei mein Job. Wenn ich sage, ich habe mich gewundert, höre ich, ich hätte mich furchtbar geärgert. Tatsächlich fand ich den Zeitpunkt damals überraschend früh.

Standard: Konkret: Nehmen Sie das Angebot der Ministerin an?

Welser-Möst: Mein Vertrag wird vom Direktor unterschrieben, nicht von der Ministerin.

Standard: Herr Meyer, werden Sie das Angebot annehmen?

Meyer: Die Aussage von Schmied hat mich gefreut. Sie wollte zeigen, dass sie uns unterstützt. Aber wir haben immer gesagt, dass wir erst nächstes Jahr über eine eventuelle Verlängerung sprechen werden. Ich habe gerade eine Spielzeit hinter mir, und bevor ich einen Vertrag unterschreibe, muss ich auch über mich selbst entscheiden. Ich habe eigene Vorstellungen von meinem Leben. Und: Weder Franz Welser-Möst noch ich sind öffentliche Spielzeuge.

Standard: Sie werden die Kartenpreise im Herbst saftig erhöhen?

Meyer: Nicht saftig. Die Preise sind seit Jahren unverändert, es gibt eine Inflation, und die Bankzinsen sind sehr niedrig. Da muss man was tun - die Preiserhöhung wurde übrigens auch im Zuge der Evaluierung empfohlen.

Standard: Die Evaluierer meinen, dass man gerade an der Staatsoper die Preise jährlich erhöhen soll. Was halten Sie davon? Holding-Chef Georg Springer ist ja dagegen.

Meyer: Es ist nicht einfach, darauf zu antworten, ich will auch nichts gegen die Meinung von Dr. Springer sagen. Früher habe ich in Paris die Preise jedes Jahr ein bisschen erhöht, es war schmerzlos. Es ist nach oben gegangen, ohne dass man gelitten hat. In Wien gibt es aber aus meiner Sicht Grenzen: beim Stehplatz, bei Studenten und Kindern bleiben die Preise gleich. Und bei den Abos haben wir nur geringfügig erhöht.

Standard: Mischt sich Ihr Vorgänger, Ioan Holender, noch ein?

Meyer: Nein, nein, wir haben eine ganz freundliche Beziehung.

Welser-Möst: Er hatte angekündigt, dass er im ersten Jahr nach ihm das Haus nicht betreten wird. Wie oft war er schon da?

Meyer: Diese Woche dreimal.

Welser-Möst: Wohl ein Zeichen der Zustimmung für das, was an der Staatsoper passiert. (Ljubiša Tošić und Thomas Trenkler, DER STANDARD/Printausgabe 2./3. Juli 2011)