St. Pölten - Wahlsonntage waren für die niederösterreichischen Sozialdemokraten in den letzten Jahren nicht besonders erbaulich. 9. März 2008: Die SP purzelt bei den Landtagswahlen von 33,6 auf 25,5 Prozent und damit auf ihr schlechtestes Ergebnis in der Zweiten Republik, am gleichen Tag holt Landeshauptmann Erwin Pröll (VP) über 300.000 Vorzugsstimmen.

14. März 2010: Bei den Gemeinderatswahlen wechseln 14 Kommunen von Rot auf Schwarz, im tiefroten Wiener Neustadt kann Bürgermeister Bernhard Müller mit Ach und Krach seine absolute Mehrheit verteidigen. Die ehemaligen Landesräte Christa Kranzl und Emil Schabl reüssieren mit Listen in Persenbeug und Hirtenberg, interne Querelen und langwierige Parteiausschlussverfahren sind die Folge.

Aber diesen Sonntag soll alles anders werden. Diesmal wählt St. Pölten, das gallische rote Dorf im schwarzen Land, einen neuen Gemeinderat. Und die Aussichten für die SP sind glänzend. Bürgermeister Matthias Stadler hat eine satte Mehrheit von 59,6 Prozent zu verteidigen. Glaubt man einer in den Niederösterreichischen Nachrichten veröffentlichten Umfrage, dann könnte er sogar die 60-Prozent-Hürde knacken. Die Schwarzen sah die Landeszeitung weit abgeschlagen mit rund 20 Prozent auf Platz zwei.

Wie Pröll landesweit fest im Sattel sitzt, so tut es Stadler auf kommunaler Ebene. "Für klare Verhältnisse" wirbt er, was sehr an Prölls Slogan von 2008, "Klarheit durch Mehrheit", erinnert. Und wie auf Landesebene die Übermacht Prölls die roten Gemüter erhitzt, so pudeln sich in St. Pölten gern die Schwarzen auf.VP-Spitzenkandidat Matthias Adl nannte die Gemeinderatsdiskussion um die Parkplätze auf dem Domplatz zuletzt von einem "eisigen SPÖ-Allmachtssturm" geprägt. Als Stadler den Termin für einen Sondergemeinderat just zum Datum eines VP-Sonnwendfests ansetzte, war prompt von einem "Machtrausch" die Rede.

Inhaltlich wirft die Opposition dem Ortschef unter anderem vor, Stadler betreibe wegen des Aufbrauchens von Rücklagen "Budgetkosmetik" (FP), es gebe keinen Ort für freie Kulturschaffende (Grüne) und die Stadt mache einen Fehler, sich nicht am Kauf der Kobalkaserne zu beteiligen. Der VP schwebt da die Schaffung eines neuen Stadtteils für 1000 neue St. Pöltner vor.

Satellitenviertel

Nicht mehr ganz neu ist das Landhausviertel, dennoch fristet es ein Satellitendasein. Als würde sich eine rot-schwarze Grenze durch die Stadt ziehen, findet zwischen dem langgezogenen Landhausboulevard und demRest der Stadt kaum ein Austausch statt. Sind die Beamten ausgeflogen, ist der Stadtteil verwaist. Nicht wenige Mitarbeiter der Landesregierung pendeln nach wie vor nach Wien, wo bis 1996 sämtliche niederösterreichischen Regierungsgeschäfte abgewickelt wurden.

"Ein Land ohne Hauptstadt ist wie ein Gulasch ohne Saft", lautete der Slogan, mit dem der damalige Landeshauptmann Siegfried Ludwig (VP) Mitte der 1980er-Jahre dafür Stimmung machte, Niederösterreich ein Zentrum zu bescheren. Das langjährige schwarz-rote Konfliktthema wurde mittels Volksbefragung gelöst: 56 Prozent der Teilnehmer sprachen sich Anfang März 1986 für eine eigene Landeshauptstadt aus, 45 Prozent votierten für St. Pölten, 29 Prozent für Krems. Im Juli feiert St. Pölten das erste Vierteljahrhundert als Landeshauptstadt.

Spottobjekt

So richtig angekommen ist die 50.000-Einwohner-Stadt in ihrer Rolle aber noch nicht. Wenn auch zumindest der im Herbst 2010 nach Generalsanierung eröffnete Bahnhof eindeutig seinem Dasein als unheimlicher Warteraum entkommen ist. Über die Stadt an der Traisen wird einfach gerne gewitzelt, das tut auch Dirk Stermann in seinem Buch 6 Österreicher unter den ersten 5, der St. Pölten "die unsinnige Landeshauptstadt Niederösterreichs" nennt. Hugo Portisch hingegen bemerkte über seine Vaterstadt einmal, sie habe sich "kräftig weiterentwickelt" .

In vielem versucht St. Pölten, möglichst urban zu sein, wirkt neben Wien aber doch stets provinziell. Die nur 70 Kilometer Entfernung (oder vielmehr Nähe) zur Bundeshauptstadt machen es St. Pölten schwer, sich zu profilieren.

Schlechtes Image hin oder her - für die SP ist die Stadt an der Traisen vor allem eines: ein Lichtblick im schwarzen Politalltag. (Andrea Heigl, Gudrun Springer, DER STANDARD; Printausgabe, 2./3.7.2011)