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Erleichtert, mit einem Lächeln auf den Lippen verlässt Dominique Strauss-Kahn (Bildmitte, mit Gattin Anne Sinclair) am Freitag das New Yorker Gericht.

Foto: Reuters/McDermid

Dominique Strauss-Kahn wurde am Freitag aus dem Hausarrest entlassen, die USA verlassen darf er nicht. Die Staatsanwaltschaft glaubt der Putzfrau, die er vergewaltigt haben soll, nicht mehr. Dennoch geht das Verfahren weiter.

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Es dauert keine zehn Minuten, da hat Michael Obus dem Antrag Dominique Strauss-Kahns stattgegeben. "Im Lichte neuer Entwicklungen" , so der Richter, stehe der Angeklagte nicht länger unter Hausarrest. Seinen Reisepass aber bekomme er vorerst nicht zurück. Als der Franzose aus dem Steinklotz des Supreme Court zu Manhattan ins Freie tritt, steht ihm die Erleichterung ins Gesicht geschrieben.

DSK ist frei, wenn auch noch nicht freigesprochen. Er darf New York verlassen, nicht die USA. Der nächste Schritt, sagt sein Anwalt Benjamin Brafman selbstbewusst, sei die komplette Einstellung des Verfahrens.

Es ist noch keine vier Wochen her, da erweckte Cyrus Vance Jr., Manhattans Bezirksstaatsanwalt, den Eindruck, als stehe Strauss-Kahns Schuld bereits fest. Dass der Politiker lügt, wenn er abstreitet, in einer Hotelsuite über ein schwarzes Zimmermädchen hergefallen zu sein. Jetzt nimmt der Fall eine jähe Wendung zugunsten des 62-Jährigen, der wegen der Saga seinen Direktorenposten beim Internationalen Währungsfonds verlor, im New Yorker Trendviertel Tribeca unter Hausarrest lebte und eine elektronische Fußfessel tragen musste. Die hinterlegte Kaution, eine Million Dollar in bar und fünf Millionen in Garantien, bekommt er zurück.

Auf einmal steht die Hotelangestellte im Kreuzfeuer der Kritik. 32 Jahre alt, eingewandert aus Guinea, alleinerziehende Mutter einer Teenager-Tochter - das wusste man über sie. Nun kommen Vorwürfe hinzu, die ihre Glaubwürdigkeit in Zweifel ziehen.

Einige stehen auf den drei eng beschriebenen Seiten eines Briefes, den Vance am Donnerstag an Strauss-Kahns Verteidiger schickte. Die Westafrikanerin habe in ihrem Asylantrag 2004 falsche Angaben gemacht. So habe sie behauptet, vom Regime ihrer Heimat verfolgt worden zu sein. Soldaten hätten ihr Haus zerstört, ihr Gatte sei gefoltert worden und an den Folgen gestorben. Sie selbst sei von einer marodierenden Bande vergewaltigt worden. "Die Fakten sind falsch" , schreibt Vance und fügt hinzu, dass sie die erfundene Geschichte auswendig lernte, mit Hilfe eines Freundes, der ihr die Story auf Tonband sprach, sodass sie sich die Details besser einprägen konnte. Auch bei der Steuer, so der Staatsanwalt, habe die Frau geschwindelt. Statt nur ihre heute 15-jährige Tochter für den Kinderfreibetrag anzugeben, trug sie zusätzlich ein zweites Kind ein.

Schließlich erzählt Vance in Teilen neu, was sich am 14. Mai im Sofitel zutrug, wo Strauss-Kahn in der Suite 2806 wohnte. Nach der ursprünglichen Version hockte die Putzfrau verstört auf dem Flur, nachdem der Bankier sie zu Oralsex gezwungen hatte. Als sie sah, dass er das Hotel verließ, wandte sie sich sofort hilfesuchend an einen Vorgesetzten. In der korrigierten Darstellung ging sie nach der Begegnung mit dem Franzosen zum Saubermachen in ein Nachbarzimmer und danach erneut in die Suite 2806, bevor sie besagten Vorgesetzten informierte, offenbar nicht so schockiert, wie es zunächst schien.

Im kriminellen Milieu

Am schwersten aber wiegt, was die New York Times über sie schreibt. Demnach könnte die Frau aus dem Kleineleutemilieu der Bronx tief im kriminellen Milieu verstrickt gewesen sein. Am Tag nach dem angeblichen Vergewaltigungsversuch soll sie mit einem inhaftierten Bekannten telefoniert haben, um sich Rat zu holen. In dem Gespräch, aufgezeichnet von den Ermittlern, sollen die beiden besprochen haben, welchen finanziellen Nutzen sie aus der Sache ziehen könne, wenn sie die Klage weiterverfolge. Der Mann sitzt hinter Gittern, nachdem Detektive rund 200 Kilog Marihuana in seinem Besitz gefunden hatten. Im Laufe der vergangenen zwei Jahre sollen er und eventuelle Komplizen mehrmals Geld auf ihr Konto überwiesen haben, insgesamt 100.000 Dollar.

Damit scheint einzutreten, was Brafman bereits vor Wochen angekündigt hat: Den Worten der Frau sei nicht zu trauen. Überraschend ist, dass es die Staatsanwälte sind, die mit den Indizien aufwarten. Sie glaubten "nicht mehr viel von dem, was ihnen die Klägerin erzählte" , schreibt die New York Times unter Berufung auf Beamte.

Für Kenneth Thompson, den Anwalt der Afrikanerin, grenzt das Ganze an Rufmord, um vom Wesentlichen abzulenken, von dem, was im Hotel tatsächlich geschah: "Es stimmt, das Opfer hat Fehler gemacht. Aber es bedeutet nicht, dass es nicht Opfer einer Vergewaltigung ist." (Frank Herrmann aus Washington, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 2./3.7.2011)