Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen hat am Donnerstag Wien besucht und Termine bei der OSZE und im Außen- und Verteidigungsministerium absolviert.

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Wien - Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen hat anlässlich seines Wien-Besuchs deutlich vor den Folgen unterdotierter europäischer Verteidigungsbudgets gewarnt. "Wenn diese Entwicklung sich fortschreibt, wird Europa nicht mehr imstande sein, im internationalen Krisenmanagement mitzumachen", sagte Rasmussen im Standard-Interview.

Es gehe in der Frage um nichts weniger als um Europas zukünftiges Gewicht in der internationalen Politik: "Wenn Europa keine Krisen mehr lösen kann, werden dies die USA, China und andere Mächte nach deren eigenen strategischen Interessen für uns tun."

Den Einsatz des Nordatlantikpakts in Libyen beurteilt der Generalsekretär optimistisch. Aus militärischer Sicht sei die Operation bisher sehr erfolgreich gewesen. Das allein genüge aber nicht: "Was wir brauchen, ist auch ein politischer Prozess, in dem Muammar al-Gaddafi die Macht abgibt und den Weg frei für einen friedlichen Übergang macht."

Eine befürchtete Ausweitung des Einsatzes über das eigentliche UN-Mandat hinaus vermag Rasmussen nicht zu erkennen. Auch mangelnde militärische Ressourcen bestreitet er vehement. Die Nato werde mit der Operation in Libyen so lange weitermachen, bis alle militärischen Ziele erreicht seien. Ein Einsatz von Bodentruppen allerdings sei keine Option für die Allianz. Von Christoph Prantner.

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STANDARD: Was ist anstrengender, eine 100-Kilometer-Radtour durch die Ardennen oder der Öffentlichkeit den Libyen-Einsatz schmackhaft zu machen?

Rasmussen:(lacht) Das sind beides sehr interessante Herausforderungen. Die Ähnlichkeit besteht darin, dass es beim Radfahren wie in der Politik gelegentlich bergauf und bergab geht. Und was Libyen angeht, gibt es eine breite Unterstützung in der Bevölkerung für den Einsatz.

STANDARD: In Libyen geht es für die Nato eigentlich nur bergauf, oder?

Rasmussen: Alle Operationen dieser Art beginnen mit einer anstrengenden Phase, keine Frage. Aber wir haben substanzielle Fortschritte gemacht. Wir haben mehr als 2400 militärische Ziele zerstört oder beschädigt. Wir haben ein Massaker an der Zivilbevölkerung verhindert. Und wir haben das UN-Mandat erfolgreich umgesetzt. Aus militärischer Perspektive war die Operation bisher sehr erfolgreich. Aber natürlich, es gibt keine militärische Lösung für Libyen. Was wir brauchen, ist auch ein politischer Prozess, in dem Muammar al-Gaddafi die Macht abgibt und den Weg frei für einen friedlichen Übergang macht.

STANDARD: Im Kosovo-Krieg dauerte es 78 Tage, bis die Serben nachgaben. Diese Marke ist in Libyen schon weit überschritten. Wann wird Gaddafi aufgeben?

Rasmussen: Ich werde jetzt nicht über Zeitpunkte spekulieren. Aber ich kann Ihnen versichern, dass wir solange weitermachen werden, bis unsere militärischen Ziele erreicht worden sind. Und zwar: ein vollständiges Ende aller Attacken auf Zivilisten, der Rückzug der Gaddafi-Truppen in ihre Kasernen und ein umgehender Zugang für humanitäre Hilfe im ganzen Land. Wenn das gewährleistet ist, können wir sagen: Mission erfüllt!

STANDARD: Eine Lektion vom Balkan ist, dass nach Jahren der Flugverbotszone über Bosnien Bodentruppen eingesetzt wurden. Wird das auch in Libyen notwendig sein?

Rasmussen: Das ist keine Option für die Nato. Wir sind nicht bereit, Bodentruppen dort hinzuschicken. In einer Post-Gaddafi-Ära sehen wir keine größere Rolle für die Allianz in Libyen. Da soll die UN die Führungsrolle übernehmen.

STANDARD: Die Nato hat zuletzt das Mandat für die Operation um weitere 90 Tage ausgedehnt. Es gibt Experten, die Schwierigkeiten für das Bündnis kommen sehen. Flugzeuge werden knapp, der einzige Flugzeugträger, die Charles de Gaulle, kann nicht ewig im Raum bleiben ...

Rasmussen: Lassen Sie mich das klar sagen: Wir werden die Operation nicht nur zu Ende führen, wir haben auch alle nötigen Mittel, um einen Erfolg zu erreichen.

STANDARD: Zuletzt hat der niederländische Verteidigungsminister vor einem "mission creep" , einem Ausdehnen der Operation über ihre ursprünglichen Ziele hinaus gewarnt. Was entgegenen Sie?

Rasmussen: Es gibt keinen "mission creep" , und es wird auch keinen geben. Wir richten uns strikt nach dem UN-Mandat. Darüber gehen wir nicht hinaus. Unsere Taktik müssen wir dennoch anpassen. Zuletzt haben wir entschieden, Kampfhubschrauber einzusetzen. Da ist keine Ausweitung, nur eine Adaptierung des Einsatzes.

STANDARD: Warum ist die Nato gegen Waffenlieferungen an die Rebellen, so wie sie Frankreich nun durchführen will?

Rasmussen:Das ist nicht Teil der Nato-Operation und unseres Mandates. Wir sind dazu da, eine Flugverbotszone zu implementieren sowie die Zivilisten mit allen nötigen Maßnahmen zu schützen.

STANDARD: Kann die Nato ihre Operationen in Libyen nur mit europäischen Partnern und ohne US-Unterstützung ausführen?

Rasmussen: Die kurze Antwort ist: Nein. Wir brauchen die US-Unterstützung. Trotzdem ist die Operation einzigartig, weil die Mehrzahl von Jets und Material nicht von den USA gestellt werden.

STANDARD: Sie kritisieren, dass sich die Europäer in Verteidigungsfragen zu stark auf die USA verlassen. In Zeiten der Sparpakete in ganz Europa, wie soll es Mehrheiten für größere Militärbudgets geben?

Rasmussen: Ich bin Politiker und ich weiß um die Sparzwänge. Der einzige Weg, um sicherzustellen, dass die Wirtschaftskrise nicht zu einer Sicherheitskrise wird, ist, dass wir mehr für weniger bekommen. Wir müssen unsere Kräfte bündeln, smarte Verteidigungpolitik machen. Wir können viele Dinge gemeinsam erledigen, das spart eine Menge Geld. Dennoch ist es ein wachsendes Problem, dass die Kluft zwischen den Verteidigungsausgaben der USA und Europas in der Nato wächst. Nach dem Ende des Kalten Krieges war das Verhältnis zwei Drittel zu einem Drittel, heute tragen die Europäer nur noch 20 Prozent bei. Wenn diese Entwicklung sich fortschreibt, wird Europa nicht mehr imstande sein, im internationalen Krisenmanagement mitzumachen. Es geht um Europas zukünftiges Gewicht in der internationalen Politik, um nicht mehr und nicht weniger. Wenn Europa keine Krisen mehr lösen kann, werden dies die USA, China und andere Mächte nach deren eigenen strategischen Interessen für uns tun. Europa bliebe allein zurück. (DER STANDARD, Printausgabe, 2.7.2011)