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Angelina Jolie and Brad Pitt in Sarajevo.

Foto: Reuters/DANILO KRSTANOVIC

In seiner bisherigen siebzehnjährigen Geschichte hat das Filmfestival von Sarajevo drei Phasen durchlaufen. In der ersten Phase, während der Belagerung im Krieg, symbolisierte das Festival einen Akt des „kulturellen Widerstands" und der "Aufrechterhaltung von Normalität". In der zweiten Phase, während der ersten Nachkriegsjahre, war das Festival eine nicht allzu ambitionierte Filmschau, wie es sie wohl in jeder größeren europäischen Stadt gibt. Dass das Festival sich heute einer guten Reputation erfreut und sich in der Kategorie unter dem unerreichbaren Dreieck Berlin-Cannes-Venedig einordnen kann, liegt hauptsächlich daran, dass das Wettbewerbsprogramm auf die sogenannte regionale Kinematographie fokussiert ist. Unter "Region" versteht man hier nicht nur das Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens (in letzter Zeit "Jugosphäre" genannt), sondern auch die Nachbarländer des ehemaligen Jugoslawienes, minus Italien, plus Türkei; es geht also um das Gebiet zwischen Wien und Istanbul, oder, wie es abgekürzt heißt, „von A bis A", von Austria bis Anatolien.

Im Hauptwettbewerb traten heuer acht Filmproduktionen um den Preis "Herz von Sarajevo" an, aus Österreich, Slowenien, Kroatien, Rumänien, Griechenland, Bulgarien, Albanien und der Türkei. Der österreichische Film "Atmen" in der Regie von Karl Markovics ist der absolute Festivalsieger. Der Film erhielt nicht nur das "Herz von Sarajevo" für den besten Film, sondern auch einen Schauspielerpreis; der Hauptdarsteller, der junge Thomas Schuberth, wurde mit dem "Herz von Sarajevo" als bester männlicher Darsteller ausgezeichnet. Der junge Mann muss sich ganz besonders gefreut haben, schließlich nahm er den Preis von niemandem geringeren als Angelina Jolie in Empfang. Die Hollywood-Diva reiste für einige Stunden zur feierlichen Festivalschließung nach Sarajevo, wobei ihr ebenfalls ein Ehrenpreis verliehen wurde. Sie kam in Begleitung von Brad Pitt, was bei den Bewohnern von Sarajevo und den zahlreichen Journalisten zusätzlich für Begeisterung sorgte.

Außer Angeline Jolie und Brad Pitt kamen heuer unter anderem Wim Wenders und Charlotte Rampling nach Sarjaevo. In den Jahren zuvor waren auch Kevin Spacey, Morgan Freeman, Mickey Rourke und viele andere Filmstars zugegen gewesen. Solche Gäste tragen zum spezifischen Glamour dieser Veranstaltung bei. Die hiesige Öffentlichkeit ist häufig gespalten, wenn es darum geht, die Bedeutung des Festivals für die Stadt Sarajevo und für das gesamte Bosnien und Herzegowina einzuschätzen. Einerseits lebt und atmet es sich in den neun Festivaltagen in Sarajevo ganz gewiss anders, als während des restlichen Jahres. Es gibt viel mehr Touristen in der Stadt, das kulturelle Angebot wird um hunderte Filmprojektionen reicher, und darüber hinaus übt das Festival einen Synergieeffekt auf eine Reihe anderer Projekte aus. So findet beispielsweise die Sommerbuchmesse parallel zum Festival statt, und zahlreiche im Ausland lebende Bosnier bemühen sich, ihren Aufenthalt in Sarajevo ausgerechnet während des Festivals zu legen. Andererseits behaupten kritische Kommentatoren, dass das Festival ein falsches Bild von Sarajevo erzeugt, dass das Festival selbst keine grundlegende Veränderung für die Kultur in Bosnien und Herzegowina zu bewirken vermag, dass der Staat das Geld anderweitig besser investieren könnte.

Eine Chronikmeldung vom 31. Juli illustriert eindrücklich, wie wenig das Filmfestival von Sarajevo mit der Realität in Bosnien und Herzegowina zu tun hat. Am Samstag, dem 30. Juli, während der feierlichen Schließung des 17. Filmfestivals von Sarajevo in Anwesenheit von Angelina Jolie und Brad Pitt, brannte in Sokolac ein Kino ab. Sokolac ist eine Kleinstadt in der Nähe von Sarajevo, gelegen auf dem Berg Romanija, und zählt heute administrativ zur Republika Srpska. Sokolac war früher im Einzugsgebiet von Sarajevo gelegen, aber heute besteht gar keine Verbindung mehr zwischen dem Filmfestival von Sarajevo und dem ausgebrannten Kino in Sokolac. Auch vor dem Brand war das Kino nicht regelmäßig in Betrieb gewesen. Tuzla und Mostar, Städte mit über hunderttausend Einwohnern (die dritt- und die viertgrößte Stadt) in Bosnien und Herzegowina, verfügen über gar kein Kino. So sieht es aus im heutigen Bosnien und Herzegowina, in diesem No man's land zwischen glamourösem Festival einerseits und brennenden Kinosälen in der Provinz andererseits. Sowohl das Festivalfeuerwerk als auch der Brand aus der Chronikmeldung sind Flammen desselben No man's land. (Muharem Bazdulj, 1. August 2011, daStandard.at)