"Dance for Nothing": In Wien trug Eszter Salamon Schwarz.

Foto: Alain Roux

Wien - "Was ich Poesie nenne, wird oft Inhalt genannt. Ich selbst habe es Form genannt", sagte der bahnbrechende Komponist und Denker John Cage 1959 in seinem Vortrag über nichts, der eigentlich ein Musikstück ist. Diese Sprachmusik rezitiert und tanzt die in Berlin lebende ungarische Choreografin Eszter Salamon in ihrem fabelhaften Solo Dance for Nothing bei Impulstanz im Kasino am Schwarzenbergplatz.

Cage war nicht nur preisgekrönter Pilzexperte, sondern ist auch prägend für den Tanz ab den 1950er-Jahren bis heute - nicht nur wegen seiner legendären Zusammenarbeit mit Merce Cunningham, sondern auch, weil seine Philosophie in den frühen Sixties dem jungen postmodernen Tanz enormen Rückhalt bot. Salamon ist heute eine der Protagonistinnen in der europäischen konzeptuellen Choreografie, die dem Tanz als Teil einer spätpostmodernen Blütezeit seit eineinhalb Jahrzehnten zu einem enormen Entwicklungsschub verhilft.

Der Vortrag über nichts ist sehr genau strukturiert und im Sitzen schon nicht leicht zu rezitieren. Salamon tut es mit Bravour, während sie unablässig tanzt. Dabei interpretiert sie Cages Text nicht, sondern lässt ihren Körper von Intensität und Bau der Worte treiben. Entsprechend erinnert ihre Körpersprache an den Tanz der frühen US-Postmoderne.

In einer Dreiviertelstunde hat Salamon es geschafft: "Nichts mehr als nichts kann gesagt werden." Nie ist sie dabei außer Atem gekommen, und sie macht kein Drama aus ihrer Leistung.

Eine ähnliche Denkweise hat offenbar den Geo-Trauma-Dance - ebenfalls im Kasino - beeinflusst, den der schwedische Künstler und Autor Mårten Spångberg mit einer Gruppe von Tänzern in nur zwei Wochen entwickelt hat. Wie Cages Beschäftigung mit dem Zenbuddhismus nie zu esoterischer Selbstpflege verkam, so wenig überirdisch ist die Zusammenkunft der Geo-Traumatiker geraten. Unaufgeregt und zum Teil mit zärtlicher Ironie gegenüber unserer hektischen Burn-out-Gesellschaft, mit viel synchroner Bewegung bis hin zum gemeinsamen Verharren in innerem Tanz, lassen sich die jungen Performer durch einen genau geplant aussehenden Ablauf treiben.

Eine wunderschöne Arbeit mit vielen zauberhaften Momenten, die wie ein mystisches Ritual aussieht, weil sie in ihrer Form einen poetischen Inhalt kommuniziert, der sich konträr zu allen Virtuositäts- und Effizienzlogiken verhält. Was sich da als etwas naiv präsentiert, ist das glatte Gegenteil: eine gezielte Strategie, die sich gegen das Festnageln der Welt auf eine "objektive" Realität richtet. Denn gerade im Gesellschaftlichen erhält dieses "Objekt" subjektiv und ideologisch manipulierte Bedeutungen. Langweilig wird das Geo-Trauma jedenfalls nie.

Ebenso wenig in dem Duett Dance #2 von Eszter Salamon mit der Belgierin Christine De Smedt, in dem die beiden mit Sprach- und Körpertransformationen arbeiten. Eine Evolution von Sound-Poetry über durch Atemübung geformte Tableaux vivants bis hin zu einem Gesten-Sprach-Dialog, der von assoziativen Formulierungen zu Kapitalismuskritik bis hin zu Silbenmusik reicht. Salamon und De Smedt verändern so den Lauf der Sprache, bringen die Körperbewegungen immer wieder zum Stillstand, lassen zwischendurch ihre Stimmen laut aufpeitschen. Witzig und mit cagehafter Weisheit kommt auch dieses Stück daher: als Klang genauso wie als Tanz.

Beim Impuls-Festival zeigen diese drei Stücke, wie weit das Spektrum des Gegenwartstanzes zwischen Akram Khan oder Marie Chouinard auf der einen und Salamon oder Spångberg auf der anderen Seite auseinanderklafft. (Helmut Ploebst, DER STANDARD - Printausgabe, 2. August 2011)