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Richard Lugner und Anastasia "Katzi" Sokol bei jener Pressekonferenz im Februar 2011, als der Baumeister noch glaubte, dass amerikanische Filmschauspielerin Bo Derek sein Stargast beim Opernball sein werde.

APA-FOTO: ROBERT JAEGER

ATV hat also den Dreh über die Reise der schrecklich netten Familie Lugner an den Plattensee gekippt. Offiziell aus Sorge um die Gesundheit jener Dame, an der Richard Lugner exemplarisch vorführt, wie man einen Menschen nicht bloß domestizieren, sondern auch noch so aus dem Mitleidsbogen der Mitmenschen herausschießen kann, dass es tatsächlich niemanden stört, wenn da jemand vor aller Augen zu Grunde geht und/oder zu Grunde gerichtet wird.

Die Methode ist einfach. Lugner hat sie seit jeher - nicht einmal bewusst - angewandt, verfeinert und mittlerweile perfektioniert: Nimm einer Person zuerst den Namen. Gib ihr einen, den du selbst ausgesucht hast. Richte nicht nur sie darauf ab, sondern sorge dafür, dass auch der Rest der Welt vergisst, dass sie je einen anderen Namen, eine andere Identität und ein eigenes, selbstbestimmtes Leben gehabt hat.

Was bei Haustieren funktioniert und im intimen, privaten und familiären Kreis durchaus liebenswert ist, lässt sich auch gut als Mittel zu Unterdrückung und Marginalisierung von Menschen einsetzen.

Schwache Persönlichkeiten

Freilich: Das geht nicht mit jedem oder jeder. Doch dass sich Trophy-Girl-Männer, dafür starke, gefestigte und eigenständige Persönlichkeiten aussuchen, ist eher unwahrscheinlich. Es wäre unlogisch - weil kontraproduktiv. Gerade an der "Menagerie" des Richard L. lässt sich hervorragend vorexerzieren und nachlesen, wie Geltungsdrang und Alter den vergreisenden Baumeister sich an ihm immer weniger gewachsenen Personen vergreifen ließ und lässt.

Schon vor Monaten haben Beobachter des Lugniversums - mich eingeschlossen - auf die öffentliche Vernichtung des "Katzis" (dass die Frau einen Namen, Anastasia Sokol, hat und man den im Gegensatz zu ihrem öffentlichen Rufnamen nicht als bekannt voraussetzen kann, beweist, wie gut Lugner sein Eigentum brandet) hingewiesen. Darauf, dass hier ein Mensch vor aller Augen zerstört wird. Dass der Zusammenbruch nicht bloß sichtbar ist, sondern auch eifrig beschrieben, dokumentiert und analysiert wird - aber niemand, der hier eingreifen könnte, auf die Stop- oder einfach nur Pausetaste drückt.

Keine Gnade

Doch die Reaktionen waren einhellig: Keine Gnade. Im Gegenteil: Die Masse geifert, giert und lechzt. Will Blut und Körperflüssigkeiten sehen. Labt sich am Schmerz und begeilt sich am Leid. Am Leid einer Wehrlosen - und spuckt der Erniedrigten noch nach, verhöhnt sie, wenn sie am Boden liegt: Nicht von ungefähr war über Jahrhunderte die Monstrositätenschau am Jahrmarkt die Spitzenattraktion - getoppt lediglich von Pranger, öffentlichen Folterungen und Hinrichtungen.

Das Medium hat sich geändert - Publikum und Gaudium blieben gleich: Der Schutz, den Öffentlichkeit anderswo mit sich bringt, wird Sokol verwehrt: "Wer sich mit Hunden ins Bett legt, wacht mit Flöhen auf" heißt es - und für die Welt des Baumeisters gilt daher: Wer sich auf Lugner einlässt, hat jeden Anspruch, als Mensch gesehen zu werden, verwirkt.

Weil auf Krüppel, geistig wie körperlich Behinderte und "Freaks" hinzuhauen - oder nur zu gaffen - heute nicht mehr geht, weil "aufgeklärte" Geister sich sogar an der oben verwendeten Begrifflichkeit stoßen, braucht das Volk (nein, nicht nur die Plebs) eben andere, neue Opfer. Figuren, die nicht im eingeführten Kanon der Schutzwürdigkeit vorkommen: Ein Mensch zu sein allein genügt dafür nicht. Während der Pöbel tobt und jubelt, tun die Eliten und Guten indigniert und angeekelt - können aber umso besser erklären, wieso das Opfer keines ist. Wieso hier Wegschauen ok ist.

Selber Schuld

Frau Sokol, heißt es, sei schließlich selbst Schuld. Sie sei doch eine erwachsene, mündige Frau. Niemand zwänge sie, das Spiel ihres Meisters mit zu spielen. Sie könne doch jederzeit aussteigen. Bloß: Ist dem tatsächlich so? Gelten offen sichtbare wirtschaftliche Abhängigkeiten, emotionale, soziale und intellektuelle (In-)Kompetenzen und psychische Abhängigkeiten plötzlich nichts mehr, wenn statt "Sozialreportage" das Wort "Promi-Dokusoap" am Genre-Etikett steht? Gibt es das Stockholm-Syndrom nicht auch in Beziehungen?

Ist die Unfähigkeit, um verbaliter um Hilfe zu bitten oder die eigene Hilfsbedürftigkeit überhaupt zu erkennen, dann, wenn sie in den Lifestyle- und Adabei-Spalten geschildert wird, kein Grund für das ungefragte Einschreiten aller sonst ihre Helfer- und Helferleinsyndrome, ihre Charitymotivation, ihre Gutheit und Nächstenliebe so gern und plakativ und proaktiv demonstrierenden Mitmenschen? Allem Anschein nach nicht.

Innerhalb der Branche - unter Kameraleuten, Fotografen, TV-Crews und Journalisten - war das Unbehagen mit dieser Form der öffentlichen Vernichtung eines Menschen schon lange ein Thema. Manche spielten bei bestimmten Kapiteln daher schlicht nicht mehr mit. Andere gaben auch mitunter die Rolle der neutralen Beobachter auf - wurden aber stets umgehend und heftig gerüffelt. Von Auftraggebern, Lugner-Clan, Umstehenden - nicht zuletzt Frau Sokol selbst. Und wer riskiert schon seinen Job - für nichts?

Keinerlei Verständnis von Lugner

Dass es nun sogar ATV reicht, ist bezeichnend: Aus reiner Menschenfreundlichkeit kickt der Sender eine Sendung mit solchen Quoten nicht aus dem (Produktionsland-)Programm. Schon gar nicht mit so deutlichen, kaum verklausulierten Worten, wie in der offiziellen Aussendung des Senders: "Aufgrund der völlig unklaren Situation zum gesundheitlichen Zustand der Lebensgefährtin von Richard Lugner, Anastasia (Katzi) Sokol, nimmt ATV davon Abstand, dieses Projekt durchzuführen. ... Da es für ATV nicht hundertprozentig offensichtlich ist, dass Anastasia Sokol reisefähig ist und sich in guter physischer und psychischer Verfassung befindet, sind wir der Meinung, dass die Anstrengungen von Dreharbeiten zu einer unterhaltenden Doku-Soap ihr nicht zuzumuten sind. Aus diesem Grund wird das ganze Projekt 'Die Lugners am Plattensee' abgesagt."

Lugner selbst, las man unmittelbar nach der Veröffentlichung dieser Aussendung in mehreren Reaktionen, habe keinerlei Verständnis für diese Maßnahme. Das überrascht nicht. Was Anastasia Sokol selbst dazu sagen könnte, stand dort nicht. Aber das fiel nicht weiter auf - und auch das überraschte nicht. (Thomas Rottenberg, derStandard.at, 1.8.2011)