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Der Gesichtsausdruck des damaligen Oppositionschefs Viktor Orbán (re.) bei der Begegnung im Parlament im Jahr 2005 verhieß Premier Ferenc Gyurcsány wenig Gutes.

Foto: EPA/Kovács

Pläne für rückwirkende Gesetze wurden nach Kritik relativiert.

Nachdem er die Presse mit einem umstrittenen neuen Medienrecht unter Druck gesetzt und die Verfassung geändert, nach Ansicht von Kritikern auf seine langfristigen Machtinteressen zugeschnitten hat, will Ungarns Premier Viktor Orbán nun seine politischen Gegner aus dem linken Lager mit juristischen Mitteln bekämpfen. Laut dem Plan von Orbáns rechtsnationaler Partei Fidesz sollen die ehemaligen sozialistischen Regierungschefs Peter Medgyessy (2002-2004) und Ferenc Gyurcsány (2004-2009) sowie der parteilose Expremier Gordon Bajnai (2009-2010) wegen der hohen Staatsverschuldung vor Gericht kommen.

Dies entschied der Verschuldungsausschuss des Parlaments, der dazu eilig am Sonntag zusammengekommen war. Danach soll nun die Verfassungskommission des Parlaments nach juristischen Mitteln suchen, um eine Anklage gegen die drei Politiker auf den Weg zu bringen. Strafrechtliche Folgen für politische Entscheidungen hat es im Nachwende-Ungarn bisher noch nicht gegeben. Dies gab es zuletzt während des Kommunismus.

Orbáns Sprecher Peter Szijjarto nannte die Verschuldungspolitik der drei Expremiers ein "politisches Verbrechen". Tage zuvor hatte Szijjarto sogar in Aussicht gestellt, dass Gesetze geändert werden, falls die jetzige Rechtslage nicht ausreicht, um Gyurcsány und seine Kollegen vor Gericht zu bringen.

Dass es in einem Rechtsstaat undenkbar ist, jemanden nach neuen Gesetzen rückwirkend zu bestrafen, war Szijjarto offenbar nicht klar. Nachdem Experten wie der renommierte Strafrechtler Peter Hack Bedenken geäußert hatten, relativierte Szijjarto schließlich dieses Ansinnen. Zwar könne man die Politiker nicht aufgrund neuer Gesetze bestrafen, fest stehe aber, dass sie für die Verschuldung büßen müssten, sagte Szijjarto am Montagmorgen im Staatsfernsehen. Es könne nicht angehen, dass nur das Volk unter der falschen Politik leide, nicht aber die verantwortlichen Politiker.

Wahlkampfgeschenke

Für Ungarns Staatsverschuldung sind Reformversäumnisse der letzten 20 Jahre und Wahlkampfgeschenke aller bisherigen Regierungen sowie die globale Wirtschaftskrise verantwortlich. Während der sozial-liberalen Regierungen von 2002 bis 2010 stiegen die Schulden allerdings von 53 auf 82 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Dieses Niveau ist nicht gering, aber auch nicht das höchste in Europa. Dass Gyurcsány kaum Reformen auf den Weg brachte, lag am Widerstand seiner Sozialisten, aber auch an Blockadeschritten von Orbáns Fidesz. Als Oppositionspartei hat Fidesz zum Beispiel 2009 Gyurcsánys Gesundheitsreform verhindert, durch ein von ihr initiiertes Referendum. Als belastend für Gyurcsány führte der Schulden-Untersuchungsausschuss des Parlaments jetzt auch Teile von Gyurcsánys berüchtigter Rede von 2006 an, in der dieser unter anderem Wahlkampflügen einräumt. Mit dieser ursprünglich geheimen, auf mysteriösen Wegen veröffentlichen Rede hatte Gyurcsány damals seine Parteigenossen auf einen Sparkurs einschwören wollen.

Einiges deutet darauf hin, dass hinter den derzeit laufenden Manövern Rachegelüste Orbáns gegen Gyurcsány stehen. Der Fidesz-Chef soll immer noch wütend sein, weil er 2006 gegen den damals charismatisch wirkenden Gyurcsány die Wahl verlor. Acht Jahre Opposition hätten Orbáns Frust und Machtstreben auf die Spitze getrieben, heißt es.

Gyurcsány hatte schon vor Monaten im Gespräch mit Journalisten gesagt, Orbán wolle ihn "fertigmachen". Der Sozialist kämpft derzeit mit fraglichen Aussichten um sein politisches Comeback. Offen ist, ob er diese Versuche innerhalb oder außerhalb seiner völlig geschwächten Partei fortsetzt. (Kathrin Lauer aus Budapest, DER STANDARD, Printausgabe, 2.8.2011)