Historiker Michael Mitterauer: Religiöse Motive spielen auf der einen Seite eine schwindende, auf der anderen eine wachsende Bedeutung. Michael bedeutet übrigens "Wer ist wie Gott?".

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Michael Mitterauer: "Traditionen der Namengebung. Namenkunde als interdisziplinäres Forschungsgebiet". 258 Seiten, € 35,-, Böhlau Verlag Wien/Köln/Weimar 2011

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Nenn' es dann, wie du willst,
Nenn's Glück! Herz! Liebe! Gott!
Ich habe keinen Namen
Dafür! Gefühl ist alles;
Name ist Schall und Rauch,
Umnebelnd Himmelsglut.

Wir wissen, was Goethes Faust meint, wenn er das sagt. Es geht um das Lebensgefühl, zu dem jeder Mensch selbst finden muss. Aber wenngleich der Herr Geheimrat mit Namen natürlich Worte meint, die Gefühle nur unzureichend beschreiben, hat er damit, ob zufällig oder nicht, auch eine Kurzanalyse von Motiven geliefert, die Eltern leiten, wenn sie für ihr Kind einen oder mehrere Vornamen auswählen.

Dass diese Motive gesellschaftliche Entwicklungen widerspiegeln, ist auf den ersten Blick eine banale Feststellung. Bei genauerem Hinsehen wird die Sache aber sehr spannend und ungeheuer vielschichtig. Der Wiener Wirtschafts- und Sozialhistoriker Michael Mitterauer beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit dem Thema. In einer Reihe von Aufsätzen hat er die Ergebnisse seiner Forschungen festgehalten. Diese sind jetzt als Buch im Böhlau-Verlag erschienen (Michael Mitterauer: "Traditionen der Namengebung. Namenkunde als interdisziplinäres Forschungsgebiet". 258 Seiten, € 35,-, Wien/Köln/Weimar 2011).

Lebensprinzipien, Erwartungen, Hoffnungen, Stimmungen, Augenblickslaunen, Moden: All das und noch vieles andere, oft auch Unbewusste kann bei der Entscheidung für einen Namen ausschlaggebend sein. Religiöse Motive spielen nach den Erkenntnissen Mitterauers aber heute in Österreich - und wohl auch in vergleichbar säkularisierten Gesellschaften - fast keine Rolle mehr.

Das gilt auch für die Bedeutung des Namens: Dass Lukas, die Nummer eins bei den Vornamen männlicher Neugeborener mit österreichischer Staatsbürgerschaft im Jahr 2009 (siehe Tabelle), "der Mann aus Lukanien" heißt, dürfte den wenigsten bekannt sein. Und dass der Ur-Lukas einer der vier christlichen Evangelisten war, noch dazu jener, dessen Texte (darunter auch die Apostelgeschichte) vorrangig zur Unterweisung von Nichtchristen bestimmt waren, dürfte den allermeisten Eltern, die sich für diesen Namen entscheiden, herzlich egal sein.

Wäre dem nicht so, man könnte Anzeichen eines Kulturkampfes herauslesen. Denn auf der "anderen" Seite, bei den Bürgern mit Migrationshintergrund, zählt Mohammed in all seinen Varianten, etwa dem türkischen Mehmet, inzwischen zu den beliebtesten Vornamen, mit ständig steigender Frequenz. In England und Wales erreichte Mohammed 2009 erstmals Platz eins unter den beliebtesten Vornamen neugeborener Knaben, knapp vor Oliver. Im Jahr davor lagen noch Jack, Harry und William auf den ersten drei Rängen. Vergleichbare Mohammed-Booms verzeichnen Städte wie Oslo, Malmö, Amsterdam, Brüssel, Mailand, Marseille und die Pariser Vorstädte.

Die Heiligkeit des Namenspatrons sei früher bei uns ein starkes Motiv gewesen, meint Mitterauer und nennt als Beispiel Maria als zweiten Knaben-Vornamen (berühmte Träger: Rainer Maria Rilke, Klaus Maria Brandauer). "Solche Dinge kommen ab. Auf der anderen Seite: Seinen Buben Mohammed zu nennen, ist ein Akt religiöser, manchmal auch kultureller Demonstration, etwa im Fall des türkischen Mehmet." Im Internet gebe es dutzende Foren, in denen diskutiert werde, warum man seinen Sohn Mohammed nennen solle und warum nicht. Ein starkes Argument dafür und dagegen: weil es der heiligste Name ist - und weil man diesen Namen nicht entehren soll, etwa wenn man sein Kind tadelt: "Mohammed, du ..."

Generell hat das Vorbild schwindende Bedeutung. Sarah, hebräisch "die Vornehme", Stammmutter des Volkes Israel, führte die österreichische Hitliste der 2009 gewählten weiblichen Vornamen an. Auch hier spiele der religiös-kulturelle Aspekt kaum eine Rolle, meint Mitterauer. Eher stehe Sarah für einen generellen Trend zu vokalreichen, gut klingenden Namen (siehe Tabelle). Dem entspricht bei den Knaben eine wachsende Vorliebe für weiche Endungen auf -ian, worin sich vermutlich auch eine Angleichung der Geschlechterrollen ausdrückt.

Eines der spannendsten und aktuellsten Felder ist für Mitterauer interkulturelle Namengebung. "Ein häufiges Argument: Es sollen beide Traditionen verankert sein. Auch die Kultur des Mannes, der bei bikulturellen Lebensgemeinschaften ja meist der zugewanderte Teil ist, soll bewahrt bleiben. Gleichzeitig soll das Kind mit einem arabischen oder iranischen oder einem anderen fremden Namen hier nicht allzu große Schwierigkeiten bekommen."

Ein Beispiel, das schon in die 1960er-Jahre zurückreicht: Namenssuche für den Neugeborenen einer Steirerin und ihres türkischen Ehemanns. Kemal, der Name des türkischen Großvaters - das war für die Mutter doch zu heftig. Schließlich wurde es Atilla, die türkische Form von Attila: "Eine Namensform aus der Tradition des Vaters, die für die Mutter akzeptabel war, dank des großen österreichischen Schauspielers Attila Hörbiger." Dieser wiederum verdankte seinen Vornamen der Geburt in Budapest, einer Metropole des einstigen Aufmarschgebiets des Hunnenkönigs.

Name - Schall und Rauch? In einer durch Migration und kulturelle Durchmischung gekennzeichneten Lebenswelt weniger denn je. "Name ist Heimat", meint Mitterauer. "Insofern kommt auf die österreichische Gesellschaft noch einiges zu." (Josef Kirchengast/DER STANDARD, Printausgabe, 2. 8. 2011)