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Brauchen Europas Kreditinstitute mehr Kapital? In den vergangenen Wochen sind Bankenwerte heftig unter Druck geraten.

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Wien/Washington - Der Bankensektor kommt nicht zur Ruhe. Der Internationale Währungsfonds (IWF) geht davon aus, dass den europäischen Kreditinstituten bis zu 200 Milliarden Euro Kapital fehlt. Die Zahl stammt laut Financial Times aus dem Global Financial Stability Report, der offiziell erst Mitte September vorgestellt wird.

Der IWF kritisiert offenbar, dass in den Bilanzen der Banken Anleihen von Schuldenländern wie Griechenland, Irland und Italien zu hoch bewertet werden. Kreditinstitute können Anleihen auf zwei Arten bewerten: entweder zu den Anschaffungskosten oder zu den aktuellen Marktpreisen. Die Preise für Papiere der Schuldenländer sind in den vergangenen Monaten stark gefallen. Viele Geldhäuser berücksichtigen diese Entwicklung allerdings nicht.

Würden die Banken ihre Anleihen zu Markt- und nicht zu Anschaffungspreisen bewerten, ergäbe sich laut IWF ein 200-Milliarden-Euro-Kapitalbedarf. Der Währungsfonds hat sich als Basis für die Berechnung eine Form des Eigenkapitals angesehen, die sehr eng definiert wird. Bei dieser Berechnung sind keine immaterieller Vermögenswerte wie der Unternehmenswert inkludiert, Prüfer sprechen vom Tangible Common Equity - TCE. Ob sich die 200 Milliarden auch im veröffentlichten Abschlussbericht finden werden, ist noch offen.

Der IWF hat in der Vergangenheit öfter kritisiert, dass die europäischen Institute über eine zu schwache Kapitaldeckung verfügen. So haben die Banken in den USA ihr TCE von 5,5 Prozent auf 7,5 Prozent erhöht. In der Eurozone liegt der Anteil bei nur rund vier Prozent.

Allerdings gibt es diesmal auch Kritik am IWF selbst. Zunächst orten viele Beobachter einen Versuch des Währungsfonds, IWF-Chefin Christine Lagarde beizuspringen. Lagarde hatte am Wochenende nebulös von Problemen im europäischen Finanzsektor gesprochen. Banker und Politiker in Europa haben diesen Vorwurf als Panikmache zurückgewiesen. Dass der IWF vor der offiziellen Veröffentlichung seines Finanzstabilitätsberichts Details an Medien weitergibt, sehen viele Beobachter als einen Versuch, die Reputation Lagardes zu retten.

Kritik gibt es aber auch an der Methodologie des Fonds. Spaniens Finanzministerin Elena Salgado sprach von einer "verzerrten Schätzung". Der IWF habe nur mögliche Verluste untersucht, nicht aber mögliche Gewinne, etwa bei deutschen Anleihen.

Bilanzierung

Ein anderes Problem ist, wie der IWF die Marktpreise berechnet. Er hat nämlich nicht einfach den aktuellen Handelskurs von Anleihen an den Börsen hergenommen. Der IWF hat die Anleihenwerte über sogenannte Credit Default Swaps (CDS) berechnet. CDS sind Versicherungen, mit denen sich Anleger vor einem Zahlungsausfall schützen. Diese heranzuziehen gilt unter Experten als unsicher: "Solange es einen Börsenkurs gibt, sind bilanztechnisch diese zu verwenden und nicht Berechnungen auf Grundlage von CDS", meint eine Bankenprüferin von PricewaterhouseCoopers. Ähnlich äußert sich ein Experte vom Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) in Deutschland. Er ortet hinter den IWF-Zahlen einen Versuch, Druck auf die europäischen Banken auszuüben.

In den vergangenen Wochen wurden die einheitlichen Bilanzierungsregeln in Europa (IFRS) sehr unterschiedlich ausgelegt, meinen Bilanzprüfer. So haben etwa französischen Banken und einige italienische Institute ihre Hellas-Papiere nicht auf Marktpreise abgewertet und sich dadurch Kosten erspart.

"Der IWF will diesen Wildwuchs stoppen, damit Risiken nicht kaschiert werden", so ein deutscher Wirtschaftsprüfer. (András Szigetvari, DER STANDARD; Print-Ausgabe, 2.9.2011)