Es war einmal ein Altar. Er hieß Fernsehbildschirm. Der Würde angemessen, wurde er in prächtige Holztruhen des Gelsenkirchener Barocks eingebaut, von Designern mal tollkühn, mal aalglatt-langweilig dem Interieur angepasst, inzwischen als Flachgerät auf sein pures Sein reduziert. Altar mag er nicht mehr sein, ein Lebensmittelpunkt ist er immer noch.

Die Mär vom Fernsehtod

Worüber spricht man, wenn mal nicht über Privates, über die Arbeit, über eigene Interessen? Über Themen, die das TV präsentiert. Das Web ist zwar die Kommunikationsplattform Nr. 1, verstärkt wird aber fast jede Information immer noch über das 75 Jahre alte Medium. Das Klischee: Online verdrängt TV. Falsch! Fernsehen wird künftig mehr online genutzt werden, aber eine ständige Konkurrenz gibt es nicht wirklich. Höchstens bei der Aufmerksamkeit, nicht aber hinsichtlich des Zeitaufwands. Google, Facebook, The European et al. werden besucht, während gleichzeitig der Fernseher läuft, der übrigens schon immer, ähnlich wie das Radio, über große Strecken eher Nebenbei-Medium war.

Und doch verändert sich das Medium selbst ständig: PC, Netbook, Touchpad, Smartphone bieten TV-Empfang. Der Fernseher ist internetfähig. Entscheidend dabei sind die Arten des Inhalts und die Nutzungssituation. Längere Hochaufmerksamkeitssendungen schaut man nur dann unterwegs, wenn es gar nicht anders geht. Das spannende Bundesligaspiel beispielsweise bevorzugt man lieber vor dem (heimischen) Großbildschirm. Inzwischen mit HDTV, gar 3-D oder Home-Theater. Anders bei einem Gros der Kurzangebote. Der zu Recht meist mangels Kreativität ungeliebte Werbespot ist ungleich situations- und medienunabhängiger. Ihn killt irgendwann die Möglichkeit, ihm zu entkommen. Es sei denn, die Branche schafft endlich die Überwindung meschuggener Routinen wie "bloß brav bleiben, der Kunde ist sonst schockiert" à la jedes Waschmittel oder "Penetranz schafft Vertrauen" à la "Carglass". Immerhin zeigen Sparkasse, Zalando oder Bahn, dass es auch anders geht ...

Traditionsfernsehen wird bleiben. Special-Interest-Kanäle haben zudem dann eine Chance, wenn sie nach wie vor hohe journalistische Kompetenz mit Massenattraktivität paaren. Das begrenzte Zielgruppenangebot ist eher das Metier anderer Online-Plattformen. Schon jetzt ist der TV-Musikclip fast verschwunden, findet ein Song auf YouTube.com viel besser statt. Wenn einem in Deutschland nicht mal wieder die GEMA die Suppe versalzt.

Täglich neu, täglich anders

Über Musik gesprochen: Trotz solcher Angebote wie künftig einem flotteren 3Sat oder ZDFneo wird eine jüngere Zielgruppe vernachlässigt. Die 12- bis 20-Jährigen scheinen für ein anspruchsvolles und dennoch attraktives Angebot fast aufgegeben worden zu sein. Kein Wunder, dass die Jugendquoten ultralausig sind. So könnte sich das Fernsehen doch noch abschaffen.

Wenn nicht immer wieder neue Inhalte und Formate das Medium im Kern beleben würden, neben den liebgewonnen Routinen der "Tagesablaufstrukturierung" für die Älteren, die ja auch immer älter werden und damit eine TV-Überlebensgarantie von noch Jahrzehnten bieten. Aktuellere Errungenschaften der letzten zehn Jahre sind, auf der "Die-Kritiker-hassen-es.-Die-Massen-lieben-es-Skala", Casting-Shows und Scripted Reality. Beides Beleg für die Demokratisierung des Mediums, und umgekehrt (amerikanische) Serien mit großer Kunst und höchsten Budgets. Denn die Professionalität, die Massenattraktivität, der Breitenimpact, die gesellschaftliche Bühne machen (noch) für lange Zeit das Fernsehen unverzichtbar. Als Inhalt und Nutzung. Auch wenn es sich nicht mehr zur Anbetung eignet. (Jo Groebel, derStandard.at, 1.9.2011)