Hinter den freundlichen Gesten von Christoph Waltz und John C. Reilly (re.) verbergen sich gravierende weltanschauliche Differenzen. Zu sehen in Roman Polanskis Verfilmung von "Der Gott des Gemetzels".

Foto: Filmfestival Venedig

Die mit Stars beladenen Boote landen unentwegt am Lido, so dicht gedrängt ist das Programm in den ersten Tagen des Festivals. George Clooney hat gerade noch gut gelaunt verkündet, keine Ambitionen auf das US-Präsidentenamt zu hegen, schon gondeln Christoph Waltz, Kate Winslet und John C. Reilly an, die Hauptdarsteller in Roman Polanskis Der Gott des Gemetzels. Auch Popstar Madonna ist bereits hier, um ihren zweiten Spielfilm W. E. zu promoten. Das Karussell muss sich schnell drehen, denn kommende Woche beginnt bereits das Festival in Toronto, wo teilweise dieselben Filme laufen.

Waltz und Co wurden auf der Mostra mit Ovationen empfangen, schon bei der Pressevorführung der Yasmina-Reza-Verfilmung gab es wiederholt Szenenapplaus. Das liegt schon am Grundcharakter des Unterfangens, handelt es sich doch um ein Stück Theater im Kino, das für schauspielerische Bravourakte wie prädestiniert erscheint. Polanski, selbst übrigens nicht hier, hält sich eng an die dramatischen Vorgaben. Das Geschehen ist auf die bürgerliche Kampfzone einer Wohnung konzentriert, in der zwei Ehepaare aufeinandertreffen, die eine Rauferei ihrer Kinder zusammengeführt hat. Nun geht es darum, den Konflikt auf einer elterlichen Ebene zu schlichten, was unweigerlich zu einer Konfrontation von Weltanschauungen gerät. Die Fadenscheinigkeit rhetorischer Manöver, mit denen wir unseren Alltag reglementieren, tritt ebenso zutage wie das Ressentiment hinter zivilisatorischem Gebaren.

Nichtsdestotrotz wirkt Rezas Stück ein wenig mechanisch, es hat eher Effekte als Erkenntnisse im Sinn. Es braucht eine präzise Inszenierung, auch die Ökonomie muss passen. Polanskis Film läuft geschmiert wie eine Maschine der Eskalation, angetrieben von einem Schauspielerquartett, das sich emotional jede Minute mehr entblößt. Waltz ist hier in seiner besten Leistung seit dem Durchbruch zu sehen, ein überheblicher Anwalt, dessen Handytelefonate den Lauf der Handlung immer wieder unterbrechen.

Winslet ist die Frau an seiner Seite, die sich irgendwann über den Couchtisch erbricht, John C. Reilly und Jodie Foster verkörpern das liberale Gegenpaar, hinter deren Altruismus jede Menge Frustrationen zum Vorschein kommen. Die Schonungslosigkeit von Rezas Menschenbild mag nihilistisch sein - Der Gott des Gemetzels bietet dennoch eine höchst unterhaltsame Gelegenheit, sich an menschlichen Defiziten zu delektieren.

Von Madonnas Film W. E., einer Annäherung an Wallis Simpson (Andrea Riseborough), lässt sich das nicht behaupten. Simpson war der Grund, dass der britische König Eduard VIII. abdankte, eine schillernde Person, die auch für ihre Offenheit berühmt war. Madonna entwirft ihre Geschichte als Spiegelkonstruktion. Eine zeitgenössische New Yorkerin (Abbie Cornish) sieht sich als Wahlverwandte der exzentrischen Simpson, auch wenn es ihr nicht gelingt, diesem Ideal im eigenen Leben zu entsprechen. Madonna hat als Popstar mehr Talent für Anverwandlungen bewiesen denn als Regisseurin: Alles wirkt aufgesetzt. Die Figuren bleiben klischeehaft, das Thema einer durch gesellschaftliche Verpflichtungen beeinträchtigten Frau wird nie glaubwürdig vermittelt.

Frederick Wiseman vertraut in Crazy Horse, seinem Dokumentarfilm über den berühmten Nachtklub in Paris, hingegen mit Erfolg auf bewährte Beobachtungsgabe. Der Reiz dieses Films liegt nicht zuletzt darin, dass er sich wie eine Komplementärarbeit zu Wisemans Ballettfilm La Danse verhält. Ging es darin um das ehrwürdige Ensemble der Pariser Oper, wird nunmehr die Arbeit der Tänzerinnen mit ähnlicher Aufmerksamkeit gewürdigt: Dass darin der Körper als Fetisch in Erscheinung tritt, liegt in der Natur der Sache.  (Dominik Kamalzadeh aus Venedig/ DER STANDARD, Printausgabe, 2.9.2011)