Mit seinem abgeflachten Horn legte das Tibetische Wollnashorn unter dem Schnee Grünzeug frei.

Illu.: Julie Naylor

Washington/Wien - Überreste des Wollnashorns wurden auch schon in Österreich gefunden. Der älteste Beleg des eiszeitlichen Tiers, das in unseren Breiten vor rund 14.000 Jahren ausstarb, stammt aus dem Zollfeld bei Klagenfurt, wo 1335 ein Nashornschädel zum Vorschein kam. Dieser diente übrigens rund 250 Jahre später dem Bildhauer Ulrich Vogelsang als Vorbild für den Kopf des Drachens, der den Lindwurmbrunnen in Klagenfurt ziert.

Die ersten Spuren des Wollnashorns, das auch Wollhaarnashorn und wissenschaftlich Coelodonta antiquitatis genannt wird, finden sich aus der frühen Eiszeit vor über zwei Millionen Jahren. Seine größte Verbreitung hatte das Tier mit den charakteristischen zwei Hörnern vor rund 100.000 Jahren, als es in der gesamten Nordhälfte Eurasiens verbreitet war. Doch woher stammt das Tier, dessen nächster heute lebender Verwandter das Sumatra-Nashorn ist? Und wie kam das heute die Wärme bevorzugende Nashorn zu seiner Anpassung an die Kälte?

Ein internationales Forscherteam präsentiert nun in der US-Wissenschaftszeitschrift "Science" (Bd. 333, S. 1285) einen nicht mehr ganz neuen Fund, der diese Fragen auf überraschende Weise beantworten könnte. Die Paläontologen gruben bereits im Jahr 2007 im Südwesten des tibetischen Hochplateaus einen 3,6 Millionen Jahre alten Unterkiefer und den kompletten Schädel einer neuen, bisher unbekannten Wollnashornart aus, die sie Coelodonta tibetanis tauften - und erst jetzt erstmals im Detail beschreiben.

Wie die Forscher um Xiaoming Wang vom Naturhistorischen Museum in Los Angeles berichten, teilen die urtümlichen Tiere einige Eigenschaften mit späteren Wollnashörnern, so unter anderem ihr Fell und auch ihre abgeflachten Hörner, mit denen sie im Schnee nach Pflanzen gruben. Insgesamt war das Tibetische Nashorn aber deutlich primitiver als seine Nachfahren der Eiszeit.

Die Wissenschafter gehen davon aus, dass sich die neue Art in der Höhenlage Tibets an ein kälteres Klima "voranpasste": Die Eiszeit setzte nämlich erst vor rund 2,8 Millionen Jahren ein - und das sei für das Tier dann auch der Zeitpunkt gewesen, von den Bergregionen des Himalaya in die Tiefebenen Asiens herabzusteigen, wo nun ein ähnliches Klima herrschte.

Eisige Wiege der Megafauna

Neben dem urtümlichen Wollnashorn fanden die Paläontologen an den Füßen des Himalaya Fossilien weiterer ausgestorbene Säugetierarten, die sie zu einer neuen Theorie über die Ursprünge der eiszeitlichen Megafauna, also von Wollhaarmammuts, Höhlenlöwen oder Riesenhirschen anregte: Die harten Winter am Hochplateau Tibets könnten die eisige Wiege der Riesentiere gewesen sein, die sich dort auf die späteren Kaltzeiten "vorbereiteten".

Doch weitere Überraschungen sind möglich, wie Xiaoming Wang eingesteht: "Kalte Regionen wie Tibet, die Arktis und die Antarktis sind die Orte, wo man in Zukunft die unerwartetsten Entdeckungen machen wird." (tasch/DER STANDARD, Printausgabe, 2. 9. 2011)