Madrid ist für Architekten derzeit gar kein gutes Pflaster. 27.000 Architekturschaffende gibt es hier theoretisch,  gleich nach der Lehman-Pleite im September 2008 wurden aber praktisch sämtliche Bauprojekte gestoppt. Zu tun gibt es für die Architekten deshalb nun kaum etwas.

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Ein bisschen ist es nun wieder so wie am Anfang, als Madrid - Mitte des 9. Jahrhunderts als maurische Festung gegründet - neben dem wesentlich bedeutenderen Toledo jahrhundertelang ein Schattendasein fristete. Erst als Philipp II. in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts Parlament und Residenz nach Madrid verlegen ließ, wurde Madrid Hauptstadt des Königreichs Spanien.

Bild: Die Almudena-Kathedrale, Sitz des Madrider Bischofs, deren Bau im 18. Jahrhundert im neugotischen Stil begonnen wurde, an der später aber im Stil des Klassizismus weitergebaut wurde, damit sie zum Königspalast gegenüber besser passt (siehe nächstes Bild)

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Herrschaftliche Palais von Adeligen gibt es dennoch kaum. Diese bevorzugten es nämlich, in ihren Landsitzen zu bleiben, anstatt in die neue Hauptstadt in die Nähe des Königs zu übersiedeln. Heute ist das ein wenig anders, heute steht auch der Königspalast (Bild) meistens leer.

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Die Kirche an der Plaza de St. Nicolas stammt aus dem 15. Jahrhundert. Sie wurde im arabischen Mudéjar-Stil erbaut, der dann viel später, im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts, in einer Phase des Historismus für den Bau zahlreicher Stierkampfarenen als Vorbild herangenommen wurde ("Neomudéjar-Stil").

Generell gibt es hier einen hochinteressanten arabisch-abendländischen Mix aus diversen Baustilen wie eben Mudéjar oder auch Mozarabisch. Auch den plateresken Stil der spanischen Renaissance, der Elemente der Gotik und des Mudéjar enthält, findet man in den Straßen von Madrid.

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Um 1610 gab es die erste Stadterweiterung, aus dieser Zeit stammt auch das alte Rathaus, in dem sich bis vor wenigen Jahren der Bürgermeistersitz befand.

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Heute residiert die Stadtregierung im weitaus prestigeträchtigeren Palacio de Comunicaciones (Bild), dem ehemaligen Hauptpostamt am Plaza de Cibeles, das Anfang des 20. Jahrhundert erbaut wurde.

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Ein Teil von Madrid wird übrigens bis heute "El Madrid de los Austrias" genannt: Es ist das alte Zentrum südlich der Calle Mayor, mit den beiden wichtigen Plätzen Puerta del Sol (Bild) und ...

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... Plaza Mayor (Bild). 

Die Fassaden waren in Madrid meistens wichtiger als alles andere. Die erhabene Plaza Mayor (Bild) ist teilweise nur Kulisse. Viele Jahre lang gab es kein Stadtplanungsamt, sondern nur eines für "Schmuck und Sauberkeit". Der erste Stadtplan stammt aus den 40er-Jahren, der erste generelle Bebauungsplan aus 1967.

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Weil Schein hier stets mehr zählte als Sein, wurden Backstein-Fassaden manchmal nur aufgemalt. Hie und da wurde aber auch mit billigen Backsteinen gebaut, die dann überputzt und mit einem teureren Backstein "bemalt" wurden.

Schon um 1700 ließ der erste Bourbonenkönig Philipp V. den ersten Palast außerhalb des Zentrums bauen.  Um 1750 trat dann Karl III., der "Stadtbaumeister von Madrid", auf den Plan: Er ließ unter anderem repräsentative Bauten wie das Museo del Prado oder den Botanischen Garten bauen, außerdem ein öffentliches Beleuchtungs- und Abwassersystem.

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Bei der großen Stadterweiterung ab den 1860er-Jahren wurde - anders als in Barcelona - nicht auf die soziale Durchmischung geachtet; in Madrid gab es eine strikte Klassentrennung.

Die "Gran Via" (Bild), eine wichtige Ost-West-Verbindung in der Innenstadt, wurde zwischen 1917 und Ende der 30er-Jahre in drei Etappen gebaut, wofür regelrechte Schneisen durch eng bebautes Gebiet geschlagen werden mussten. Vorbilder für die Straße waren Manhattan und Chicago, die Häuser hier weisen deshalb auch zehn Geschoße und mehr auf.

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Anderswo in der Innenstadt sind die Gebäude nicht so hoch, auch wenn es hier - wie schon erwähnt - aus einem Mangel an Bebauungsplänen ...

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... niemand so genau nahm.

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Grundsätzlich haben sich die Madrider Baumeister stets eher an Mitteleuropa orientiert. Vorbild für diesen Wohnbau hier war etwa der Wiener Karl-Marx-Hof.

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Die heutigen Neubauten in Madrid sehen ein wenig anders aus. Die Schlafstädte, die an der Peripherie in den vergangenen Jahren meist rein auf private Initiative hin entstanden, sind zwar bunt, aber trostlos: Man findet kaum Menschen in den Straßen des riesigen Stadterweiterungsgebiet Vallecas südöstlich des Zentrums, was auch kein Wunder ist, denn die Geschäftsräume in den Erdgeschoßzonen sind meistens - siehe Bild - verbarrikadiert oder gleich zugemauert.

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26.000 Wohnungen sollten hier eigentlich entstehen. 60 Prozent davon sind erst fertig, und davon wiederum sind heute nur 70 Prozent bewohnt.

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Weil die jungen Bäume, die hier gepflanzt wurden, frühestens in zehn oder fünfzehn Jahren Schatten spenden werden, hat man sich etwas Besonderes einfallen lassen: Auf drei großen Stahlgerüsten - hier im linken Bildhintergrund zu sehen - wurden auf mehreren Etagen Pflanzen in Töpfen platziert, ...

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... die somit quasi als künstliche Grünraumoasen, eingezäunt mit Netzen, ein wenig die Sonnenstrahlen fernhalten sollen von den Kinderspiel- und Versammlungsplätzen, die darunter liegen.

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Leider funktioniert das Ganze bisher nicht so wie gedacht: Die Töpfe sind etwas zu klein für die Pflanzen, und die Pumpe der Bewässerungsanlage wurde schon nach wenigen Wochen gleich einmal geklaut, weiß der Architekt Werner Durrer zu berichten.

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Die Stadtregierung tangieren all diese Probleme der privaten Investoren an der Peripherie sozusagen nur peripher, sie fördert lieber die Sanierung alter Wohnhäuser in der Innenstadt, und zwar schon länger. Bei der Anlage mit Laubengang hier im Bild wurden schon in den 1980er-Jahren jeweils zwei 25-m²-Wohnungen zu einer neuen Wohnung mit Bad und WC zusammengelegt. Ein zweites Objekt direkt davor wurde weggerissen, womit eine kleine Freifläche entstand, die einen tollen Blick auf die Typologie des Gebäudes zulässt. Hier wohnen Mindestrentner und andere Geringverdiener, für die natürlich für die Zeit der Sanierung auch Ausweichquartiere in der Umgebung benötigt wurden.

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Finanziert werden die Sanierungen der Wohnhäuser in der Stadt - hier im Bild ein noch nicht saniertes Objekt - zur Hälfte aus dem Gemeindebudget sowie über Querfinanzierungen aus rentablen Wohnungen, berichtet Jose Antonio Calatayud von der städtischen Wohnbaugesellschaft EMVS. Vor der Sanierung bewegen sich die Mieten hier zwischen 20 und 50 Euro für 25 m², danach steigen sie auf 100 bis 200 Euro pro Monat.

Manchmal kann aber nicht mehr saniert werden, so Calatayud; dann helfe nur noch abreißen und - neu bauen. Die Madrider Architekten freut's. (Martin Putschögl aus Madrid, derStandard.at, 30.9.2011)

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