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Ute Bock: "Zu mir kommen Leute, die humanitären Aufenthalt beantragt haben und sich auf schlechten Rat hin aus der Grundversorgung und der Sozialversicherung abgemeldet haben, damit ihr Antrag nicht zurückgewiesen werden kann, weil sie dem Staat angeblich auf der Tasche liegen. Die haben nichts, gar nichts".

Foto: REUTERS/Herwig Prammer

"Der Punkt ist, dass ich derzeit kein Geld habe", sagt die Flüchtlingshelferin Ute Bock. Zwar sei ihr Flüchtlingshilfsprojekt in der Wiener Großen Sperlgasse (www.fraubock.at) finanziell grundsätzlich abgesichert, seit der Bauunternehmer Hans-Peter Haselsteiner dafür sorgt. Doch der Andrang unterstützungsbedürftiger "Fremder" sei stärker denn je, das Spendenaufkommen, wie manchmal im Herbst, nur lau - und bei den Hilfsansuchen gehe es immer um basale Bedürfnisse wie Essen, Wohnen und Unterstützung für Kinder, für die es anderswo keine offene Hand gibt: "Ich schicke niemanden weg, der Hunger hat. Ich bin in der Nachkriegszeit aufgewachsen und weiß, was es heißt, wenn man fünf Tage hintereinander nackerte Nudeln essen muss", sagt Bock mit der ihr eigenen Drastik.

Nun kann man Ute Bocks niederschwelliges Zentrum in der Leopoldstadt durchaus als Seismograph für soziale Probleme an den Rand gedrängter Nicht-Österreicher in Wien und Umgebung sehen. Was also ist geschehen, dass derzeit so besonders viele Menschen existenziell nicht mehr weiterwissen?

Da sei einmal das Problem mit den fehlenden Wohnplätzen, sagt Ute Bock: Zwei Wiener Flüchtlingshäuser und ein Notquartier hätten zuletzt zugesperrt, "wohl weil immer weniger Asylwerber gekommen sind". Doch die Unterbringungsmöglichkeiten fehlten jetzt: "Da steht eine Frau mit zwei Kindern vor mir, die sich zur freiwilligen Rückkehr nach Tschetschenien entschlossen hat. In der Zwischenzeit weiß sie nicht, wo sie wohnen soll. Die meisten Asylwerberunterkünfte dürfen keine Kinder nehmen, also was soll ich machen?", schildert Bock.

"Die haben gar nichts"

Dann gebe es den Kampf ums hier bleiben Dürfen: "Zu mir kommen Leute, die humanitären Aufenthalt beantragt haben und sich auf schlechten Rat hin aus der Grundversorgung und der Sozialversicherung abgemeldet haben, damit ihr Antrag nicht zurückgewiesen werden kann, weil sie dem Staat angeblich auf der Tasche liegen. Die haben nichts, gar nichts". 

Und dann werde es auch immer teurer, Kinder im Herbst einzuschulen: "Das hat mich heuer finanziell ordentlich reingeritten. 30 Euro für die Klassenkasse, 20 Euro für den Elternverein, das macht für eine Familie mit vier Kindern 200 Euro. Und wissen Sie, wie viele Vorstudienlehrgänge* ich zahle?" Doch die Unterstützung beim Zugang zu Bildung sei ihr besonders wichtig: "Bei mir sind so kluge Kinder, es wäre eine Schande, sie verkommen zu lassen."

Internetattacke

Bemerkenswert ist, dass der Hilferuf der engagierten Flüchtlingshelferin gerade zu einem Zeitpunkt kommt, wo asylwerberfeindliche Kreise via Internet wieder einmal massiv Falschinformationen über angeblich "reiche" Asylsuchende verbreiten. Nach dem Vorbild älterer Mailattacken von rechts - etwa 2008 in Niederösterreich gegen Grünen-Abgeordnete Madeleine Petrovic - wird, unter dem Titel "Österreicher in Not" ein "Asylant, mit sechs Kindern" einem "österreichischen Facharbeiter mit drei Kindern" gegenübergestellt.

Der "Asylant" komme - ohne zu arbeiten - auf 3593,90 Euro, der „österreichische Facharbeiter" - samt Arbeitslohn - auf 1692,73 Euro Einkünfte pro Monat, wird fälschlicherweise behauptet. Die Menschenrechtsorganisation SOS Mitmensch hat dem die Wahrheit entgegengestellt: Eine fünfköpfige Asylwerberfamilie bezieht, wenn sie in Grundversorgung in einer Flüchtlingsunterkunft untergebracht ist, 200 Euro, wenn sie in einem so genannten Selbstversorgerquartier wohnt (wo sie Lebensmittel selber kauft und kocht) 630 Euro, wenn sie eine Privatwohnung mietet 820 Euro - mehr nicht (genau nachzulesen unter www.sosmitmensch.at).

Neid und Wahrheit

Der frei erfundene "Asylanten-Facharbeiter"-Vergleich soll Neid auslösen und Zorn auf die "Fremden" schüren. In Österreich, wo seit nunmehr drei Jahrzehnten rechte Politik gegen Ausländer und Asylwerber betrieben wird, ist der Boden für falsche Vergleiche gut aufbereitet. Die wahren Verhältnisse sind jedoch völlig anders: wie, schildert zum Beispiel Ute Bock. (Irene Brickner/derStandard.at, 1.10.2011)

*sechsmonatige Intensivvorbereitungskurse auf die Ergänzungsprüfungen für ausländische Hörer an der Uni à 420 Euro