Wien ist eine Stadt mit Geschichte, mit Musik-Geschichte. So fand beispielsweise am 1. März 1818 im Saal des Gasthofs "Zum Römischen Kaiser" an der Freyung in Wien die erste weltliche Aufführung eines Werkes von Franz Schubert in der Öffentlichkeit statt. Im Rahmen eines Konzerts des Geigers Eduard Jäll erklang Schuberts Ouvertüre "Im italienischen Stil" D 590. Im Saal im ersten Stock dieses Hauses wurde am 28. Februar 1819 erneut Musikgeschichte geschrieben, als der Tenor Franz Jäger Schuberts Lied "Schäfers Klagelied" von Goethe zum Vortrag brachte. Es war dies die erste öffentliche Aufführung eines Schubert-Liedes.

Gedenktafel von 1929

Am 26. Mai 1929 wurde auf Betreiben des Wiener Schubertbundes in Anwesenheit zahlreicher prominenter Persönlichkeiten am Haus Renngasse 1 eine Gedenktafel enthüllt, deren Hauptbestandteil ein vom akademischen Bildhauer Robert Ullmann (1903-1966) geschaffenes, ein Meter hohes Relief eines Schäfers bildete. Die Aufschrift lautete: "Franz Schubert trat in diesem Hause als Tondichter zum ersten Mal vor die Öffentlichkeit: Am 1. März 1818 mit einer Ouvertüre im italienischen Stil, am 28. Februar 1819 mit seinem Liede 'Schäfers Klagelied', Wiener Schubertbund 1929."

Die "Reichspost" schwärmte von "einem Kunstwerk, das allen, denen das kostbare österreichische Kulturgut Franz Schuberts teuer ist, von der Wiege des Ruhmes erzählen wird, der von dem kleinen Altwienersaal des einstigen 'Römischen Kaisers' sich über die ganze Welt auszubreiten begann." Während des Bombenangriffs am 12. März 1945 erlitt das Haus Renngasse 1 schwere Treffer, die fast ein Drittel der Bausubstanz zerstörten und die originale Infrastruktur vernichteten.

Modernisierung ohne Kulturgutpflege

Wie steht es nun um jenes Schubert-Denkmal an der Freyung im Jahr 2011, das der Nachwelt, "der das kostbare österreichische Kulturgut teuer ist", auch noch in fernen Zeiten von einer "Wiege des Ruhmes" erzählen sollte? Das Denkmal ist verschwunden. Im Juni 2003 wurde im Auftrag der Armisola Immobilien AG unter Projektleitung von DI Peter Klein mit einer kompletten Modernisierung des Hauses für Deloitte Österreich begonnen, wobei nur die Fassade erhalten blieb. Bei diesen Arbeiten wurde die durch zwei Tore geprägte Symmetrie der Fassade beseitigt und der Haupteingang ganz nach links in genau jenen Bereich verlegt, wo sich das Schubert-Denkmal befunden hatte. Für Relief und Gedenktafel war nun kein Platz mehr und das mit der Ausgestaltung des Hauses beauftragte Architektenteam Archiguards wollte das Kunstwerk nicht in den stark modernisierten Eingangsbereich integrieren. Die befassten Firmen sind durchaus stolz auf ihre Arbeit und die Befreiung der Front von allem historischen Tand erfolgte offenbar in Einvernehmen mit der Stadt Wien und dem Denkmalamt, denn der planungsbeauftragte Bauträger A.C.C. schreibt auf seiner Homepage: "In enger Zusammenarbeit mit den zuständigen Behörden wurde die Fassade den Erfordernissen des Platzes und den umgebenden Gebäude angepasst."

Radikale Rasierung einer historischen Hausfassade

Die Firma IFM Immobilien Facility Management bestätigte nach einem Lokalaugenschein die Vermutung, dass die Schubert-Gedenktafel im Keller des Hauses gelagert ist. Ästhetische Prinzipien, die von den Architekten kompromisslos realisiert wurden, sind natürlich nicht a priori zu verurteilen. Von den beteiligten Planern kam leider niemand auf die Idee, Robert Ullmanns Arbeit als Symbol der Geschichte des Hauses in das neugestaltete Atrium zu integrieren. Der aufmerksame Stadtbewohner wundert sich aber doch, dass das Bundesdenkmalamt in diesem Fall beide Augen zudrückte und eine rührige Bezirksvorsteherin durch wichtigere Geschäfte, wie z.B. die Eindämmung von Punschhütten und Straßenkunst gehindert war, dieser radikalen Rasierung einer historischen Hausfassade in der Wiener Innenstadt die nötige Aufmerksamkeit zu schenken. Ist es wirklich so, dass in der Kulturstadt Wien ein Denkmal für das wohl größte Genie, das sie jemals hervorgebracht hat, nur ein störender Stein auf dem Weg des städtebaulichen Fortschritts ist? (Leser-Kommentar, Michael Lorenz, derStandard.at, 7.10.2011)