Köln/Wien - Anfang der Zwanzigerjahre des vorigen Jahrhunderts erwarb Robert Gerling, Gründer der gleichnamigen Versicherungsdynastie, die ersten Kölner Immobilien, um das Firmenkapital vor der Inflation zu schützen. Sein Sohn Hans Gerling (1915-1991) ließ in den Wirtschaftswunderjahren nach dem Krieg ein ganzes Ensemble von Gebäuden nach seinen eigenen Ideen von namhaften Architekten gestalten und errichten. Jetzt entsteht genau dort mit Beteiligung der Immofinanz eines der größten innerdeutschen Wohn- und Bürogebäude - inklusive Hotel. Es handelt sich um einen geschlossenen Immobilienbestand von 94. 000 Quadratmetern.

Hans Gerling leitete 40 Jahre die Versicherung. Seine Leidenschaft galt der Architektur - was immer ihm auf seinen Reisen gefiel, ließ er in Köln nachbauen, wird erzählt. Doch die Geschichte meinte es nicht immer gut mit Gerling - Ähnliches trifft auf die Immofinanz zu. Bis 1975 war Hans Gerling der alleinige Inhaber des einst größten deutschen Industrieversicherers. Die Herstatt-Bank, die durch gewaltige Devisenspekulationen in die Pleite schlitterte, brachte den Koloss ins Wanken. In einem Vergleich musste Gerling, der mit 81 Prozent an der Bank beteiligt war, damals 200 Mio. Mark (heute rund 100 Mio. Euro) für die Gläubiger aufbringen. Weil er das aus eigenen Mitteln nicht konnte, verkaufte er 51 Prozent seines Konzerns. Die Mehrheit an dem Konzern übernahmen die Zürich-Versicherung und der VHDI-Pool.

Gunst der Stunde

Dass Gerling seinen alten Einfluss in der Firma schließlich fast vollständig zurückerobern konnte, ist nicht nur der Gunst der Stunde, sondern auch der Verkaufsbereitschaft des Industriellen Friedrich Karl Flick zuzuschreiben. Der Schachzug war, so schrieb Der Spiegel damals, von langer Hand geplant.

Bereits 1978, als Flick einen Teil seines Erlöses von zwei Milliarden Mark aus dem Verkauf eines Daimler-Benz-Paketes steuerfrei bei Gerling unterbrachte, legte sich der Kölner quer. Weil er glaubte, ein Vorkaufsrecht zu besitzen, drohte er Flick einen Prozess an. Aus Angst vor der Steuer gab Flick schließlich nach und räumte dem Minderheitsgesellschafter Vorzugsrechte ein. Gerling bekam fortan wieder den Vorstandsvorsitz in der Konzernholding. Schlüsselpositionen besetzte er mit alten Vertrauten, die mit ihm u. a. im Aufsichtsrat der Herstatt-Bank gearbeitet hatten.

1986 hat sich der Versicherungspatriarch schließlich wieder die Alleinherrschaft in seinem Firmenimperium gesichert. Doch das Geschäft ging nicht gut. Sohn Rolf, der in der Schweiz lebt, hat es schließlich an die Talanx-Gruppe verkauft, zu der heute die Hannover Rück, HDI-Gerling und Neue Leben gehört.

Frankonia

Der umfangreiche und historisch wertvolle Immobilienbesitz ging Ende 2006 großteils an den deutschen Immobilienentwickler Frankonia. Gemeinsam mit der Immofinanz wurde ein Joint Venture gebildet, an dem beide je zur Hälfte beteiligt sind. 2010 gab es allerdings erst die Baugenehmigung. Wie einst Gerling geriet in der Zwischenzeit auch die Immofinanz ab 2008 ins Trudeln und musste um ihren Fortbestand bangen. Doch der jetzige Immofinanz-Chef Eduard Zehetner hielt dem Projekt die Treue, und so wird die Immofinanz bis zur Fertigstellung (2013) des Projekts 100 Mio. Euro Eigenkapital bereitstellen, die restlichen 270 Mio. übernimmt die örtliche Sparkasse.

Zur Zwischennutzung diente das Gerling-Quartier oft als Kulisse für Dreharbeiten. So verwandelte sich die Rotunde im Jahrhundertsaal für den Kinofilm Largo Winch 2 mit Sharon Stone lang in das Hauptquartier der Vereinten Nationen in Genf. In der Verfilmung von Marcel Reich-Ranickis Biografie Mein Leben stellte der Eingang das Entree der Frankfurter Allgemeinen Zeitung dar. Das Doku-Drama Adenauer wurde im Palais Langen gedreht. Der Film Der Vorleser, für den Kate Winslet 2009 den Oscar erhielt, wurde ebenso auf dem Gelände gedreht. Zuletzt fanden Opernaufführungen statt. 2010 strahlte der WDR schließlich eine Doku über Hans Gerling aus. (Claudia Ruff, DER STANDARD, Printausgabe, 2.11.2011)