Die Schrecksekunde in der EU-Spitze dauerte fast 24 Stunden. Erst Dienstag gegen 14 Uhr rangen sich EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso und Herman Van Rompuy, der ständige Präsident des Europäischen Rates der Staats- und Regierungschefs, eine gemeinsame Stellungnahme zur angekündigten Volksabstimmung der Griechen über das neue Euro-hilfspaket ab. Schriftlich. Und in eisigem Ton.

"Wir nehmen die Absicht der griechischen Führung auf Abhaltung eines Referendums zur Kenntnis. Wir sind überzeugt, dass dieser Beschluss für Griechenland das Beste ist", hieß es.

Premierminister Giorgos Papandreou hat seine Kollegen in ganz Europa offensichtlich kalt erwischt, hatte niemanden vorinformiert. "Wir vertrauen den Bürgern, wir glauben an ihre Urteilsfähigkeit, wir vertrauen auf ihre Entscheidung", erklärte er am späten Nachmittag des Montag dazu nach einer Fraktionssitzung seiner sozialistischen Partei.

Ja oder Nein

Seine Landsleute müssten "Ja oder Nein" sagen zu dem erst vergangene Woche auf 130 Milliarden Euro plus einen Schuldenerlass von 100 Milliarden durch private Gläubiger aufgepeppten Hilfspaket, das eine Griechen-Pleite verhindern soll. Das Votum solle "in einigen Wochen" stattfinden. Noch diese Woche will Papandreou im Parlament die Vertrauensfrage stellen. Der Ausgang ist ungewiss, da ihn am Dienstag sechs Vertreter der eigenen Partei zum Rücktritt aufforderten.

Die europäischen Aktienmärkte stürzten nach dem Papandreou-Meinungswechsel ab, auch der Euro gab deutlich nach. Italien kam durch Anhebung der Risikoaufschläge erneut kräftig unter Druck.

Damit ist fürs Erste alle Beruhigung, die nach dem mühsamen Euro- und EU-Gipfel vergangene Woche eingetreten schien, vorerst dahin. Für Mittwoch, wurde im Vorfeld des G-20-Gipfels in Cannes ein Krisentreffen vereinbart. Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy wollen mit den Spitzen von EU, Zentralbank und Internationalem Währungsfonds die neue Lage beraten.

Rätselraten

Bei den EU-Partnern herrschte Rätselraten, was Papandreou mit dem Schritt bezwecken wolle. Denn noch hat man kaum damit begonnen, die Details zur Umschuldung der Griechen und zur Ausweitung des Eurorettungsschirms mit den Banken und Investoren zu verhandeln. Nun droht weiterer Vertrauensverlust.

Nach Einschätzung des finnischen Europaministers Alexander Stubb käme Papandreous Schritt einem Referendum über die Euro-mitgliedschaft gleich. Der deutsche Wirtschaftsminister Rainer Brüderle sprach aus, was andere nur dachten: Ein Nein bei der Volksabstimmung führte zum Staatsbankrott in Athen. "Dann müssen andere Länder sich schützen, und Griechenland muss sehen, mit welchen Wegen es aus der Misere kommt", sagte er im Deutschlandfunk.

Dabei ist rechtlich überhaupt nicht klar, wie und worüber die Griechen überhaupt abstimmen sollen: Einerseits sieht die griechische Verfassung Referenden nur für entscheidende nationale Fragen vor. Das gab es zuletzt 1974 zur Abschaffung der Monarchie. Zum anderen ist ein Austritt aus der Eurozone allein nicht möglich. Der EU-Vertrag sieht nur vor, dass ein Land ganz aus der Union austreten kann.

Politische Beobachter halten es daher für möglich, dass Papandreous Ankündigung nur ein politisches Ablenkungsmanöver sein könnte, um die konservative Opposition vorzuführen. Die lehnt die Eurohilfen und alle damit verbundenen Sparmaßnahmen bisher kategorisch ab und verlangt Neuwahlen. Am Freitag wird darüber in Athen abgestimmt. (Thomas Mayer aus Brüssel, DER STANDARD, Printausgabe, 2.11.2011)