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Das Genom eines Menschen oder eines Tumors ist kein Geheimnis mehr. Nun gilt es, die Datenmengen in der Therapie zu nutzen.

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Die genetische Ausstattung eines Menschen offenzulegen ist längst nur noch "Science" ohne "Fiction". Mit 3000 bis 4000 Euro pro individuellem Genom sind mittlerweile auch die Sequenzierungskosten geradezu günstig - und sie sind weiterhin im Sinkflug. Damit ist auch in der Krebsforschung eine neue Ära angebrochen, denn neben den Genomen der Patienten können auch jene der diversen Krebsarten sequenziert werden.

In China etwa existiert bereits eine eigene Sequenzierungsanstalt, das Bejing Genomics Institute, in dem in den nächsten zehn Jahren die Genome von einer Million Menschen sequenziert werden sollen. Durch die so verfügbaren Daten eröffnen sich völlig neue Möglichkeiten für eine individualisierte Therapie und Diagnose vieler Erkrankungen.

Eine wichtige heimische Forschungsdrehscheibe auf diesem Gebiet ist das Kompetenznetzwerk Oncotyrol in Innsbruck, in dem Grundlagenforscher, Mediziner und Industrie in enger Kooperation an der Entwicklung personalisierter Krebstherapien arbeiten. Wie stark eine maßgeschneiderte Medizin die Behandlungsqualität anheben könnte, wird am Beispiel von Brustkrebs deutlich.

Die meisten Patientinnen erhalten heute eine Chemotherapie gegen Metastasenbildung, obwohl sich nur in 30 Prozent der Fälle tatsächlich Metastasen bilden. Die restlichen 70 Prozent werden übertherapiert, was angesichts der massiven Nebenwirkungen ein großes Problem darstellt. Etwa ein Fünftel der Patientinnen bekommt zudem trotz Chemotherapie Metastasen.

Angesichts solcher Zahlen scheint das Ziel einer individualisierten Therapie noch in weiter Ferne. "Eine Ursache dafür ist unter anderem die Kluft zwischen den neuen Erkenntnissen der Grundlagenforschung auf der einen und der medizinischer Praxis und der Entwicklung neuer Medikamente auf der anderen Seite ", sagt Lukas A. Huber, wissenschaftlicher Leiter von Oncotyrol.

Verknüpfte Daten

Eine der zentralen Aufgaben ist deshalb nicht zuletzt die Vereinheitlichung aller zu einer bestimmten Krebsart verfügbaren Informationen - ein komplexes methodisches Unterfangen, da diese Daten aus den unterschiedlichsten Quellen kommen. "Letztlich geht es um die Entwicklung eines Softwaresystems, mit dem sich Sequenzdaten von Genomen, klinische und Labordaten verknüpfen lassen", erläutert Zlatko Trajanoski, der den Forschungsbereich "Bioinformatik und Systembiologie" bei Oncotyrol leitet. "Außerdem braucht man entsprechende Tools, um die relevanten Informationen herausfiltern zu können. Das ist auch eine der großen Herausforderungen bei der Suche nach Krebs-Biomarkern, wo die entscheidenden Merkmale aus einer enormen Menge von Daten herausgefunden werden müssen."

Neben den methodischen Hürden birgt dieser Brückenbau von der Forschung zur Praxis auch technische Tücken, denn es gibt immer noch keine endgültige Möglichkeit, die dabei anfallenden enormen digitalen Datenmengen langfristig zu archivieren. Selbst wenn also die wichtigsten Krebsgenome bald sequenziert sein werden - den Patienten hilft das nur, wenn diese technisch-methodischen Probleme bald gelöst werden. Völlig offen ist auch noch der rechtliche Umgang mit diesen sehr persönlichen Daten.

Während die individualisierte Medizin für die Patienten große Hoffnungen birgt, ruft sie bei der Pharmaindustrie naturgemäß keine ungetrübte Freude hervor. Ist doch ein einziges Medikament für eine große Patientengruppe kostengünstiger zu produzieren als viele verschiedene Medikamente für die unterschiedlichen Ausprägungen einer Krankheit.

Würde künftig das Genom eines Patienten routinemäßig sequenziert, müsste im Extremfall für jeden Einzelnen das passende Präparat zur Verfügung stehen. Das aber scheint aus heutiger Sicht völlig unrealistisch. Was allerdings jetzt schon getan werden kann, ist die Einteilung der Patienten in Gruppen etwa auf Basis ihres Immunstatus. "Diese sogenannte Stratifizierung ist der erste Schritt auf unserem Weg zu einer personalisierten Molekularmedizin", sagt Trajanoski.

Vorhersage des Verlaufs

In einem Forschungsprojekt zum Dickdarmkrebs beispielsweise wurden bereits konkrete Vorschläge für eine Unterteilung der Patienten erarbeitet. "Basierend auf früheren Studien, in denen die zentrale Rolle der Immunzellen beim Krankheitsverlauf nachgewiesen wurde, haben wir die Einteilung der Patienten in fünf Subgruppen vorgeschlagen", berichtet der Forscher. "Wir konnten nachweisen, dass durch diese Klassifizierung die postoperative Diagnose beträchtlich präziser gestellt werden kann als bisher."

So kann man mit der neuen Methode vorhersagen, welche der bereits operierten Patienten aufgrund ihrer schwachen Immunreaktion nochmals Krebs bekommen werden. Mit diesem Wissen kann die Therapie gezielt auf die einzelnen Gruppen abgestimmt werden. Damit Darmkrebspatienten möglichst bald davon profitieren, schlagen die Forscher eine routinemäßige Erhebung des Immunstatus vor.

"Zu diesem Zweck entwickeln wir gerade ein Softwaresystem zur automatischen Auswertung des Immunzustands", sagt Trajanoski. "Außerdem wollen wir den Pathologen eine Referenzdatenbank mit den Daten von 3000 Patienten inklusive der pathologischen Bilder zur Verfügung stellen." In spätestens zwei Jahren soll das System einsatzbereit sein. Die neue Klassifizierungsmethode lässt sich auch auf andere Tumorarten - insbesondere Brustkrebs - anwenden. Die entsprechende Software soll demnächst in die Entwicklung gehen. (DER STANDARD, Printausgabe, 02.11.2011)