Gabriela Hütter (49), hat ihre Schauspielausbildung am Max-Reinhardt-Seminar in Wien absolviert. Seit 2002 stellt sie am AKH Wien psychische Krankheitsbilder für Medizinstudenten im Rahmen des Projektes "Explorationspraktikum" dar.

Foto: Sofie Wünsch

Gabriela Hütter ist ausgebildete Schauspielerin und tritt regelmäßig im Rahmen einer psychiatrischen Lehrveranstaltung am AKH Wien vor Studenten auf. Ihre Rollen hat sie im direkten Kontakt mit den Patienten erlernt. Aus der Arbeit und Auseinandersetzung mit psychischen Störungen sind die Theaterstücke "Psychiatrie!" und "Trauma City" entstanden, die im Jänner 2012 wieder im Wiener Kabelwerk zu sehen sind.

derStandard.at: Was reizt Sie an dieser ungewöhnlichen Rolle?

Hütter: Ich habe eine Affinität zur Psychiatrie. Das Thema hat mich schon immer interessiert. Auch der Aspekt, dass es sich um Wissensvermittlung handelt und der unmittelbare Kontakt mit den Patienten. Das Interesse, das wir durch dieses Projekt den Patienten entgegen gebracht haben, war förderlich für die Betroffenen. Die Beschäftigung mit ihrer Krankheit wurde geschätzt, das habe ich von der ersten Minute an gespürt. Wir waren eine Möglichkeit aus der Isolation, aus der Zurückgezogenheit zu kommen. Das genaue Hinschauen und die Zuwendung haben bei den Patienten Türen aufgestoßen. Sie haben sich uns sehr geöffnet.

derStandard.at: Was wollen Sie mit Ihrer Arbeit erreichen?

Hütter: Die Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen ist unser erklärtes Ziel. Ich hoffe, dass die Studenten die Heftigkeit, die Schwere psychischer Erkrankungen - eine gekränkte Seele ist keine Grippe - über uns mitbekommen. Dass sie spüren, da sind starke Kräfte am Werk und die wirken sich bei jedem Menschen anders aus. In der Psychiatrie lassen sich die Parameter der Theorie nicht 1:1 darüber stülpen, wie bei einer körperlichen Erkrankung.

derStandard.at: Wie ist die Arbeit mit den Studenten?

Hütter: Die Begegnungen sind immer heftig und aufwühlend und auch nach so vielen Jahren nie berechenbar. Unbewusste Prozesse sind spannend und auch schmerzhaft. Ich muss bei der Rollenfindung Grenzen überschreiten. Es geht um das Aushalten von Spannungen, des Unerträglichen. Das ist dann auch ein Ansatz für die Therapie.

derStandard.at: Sie haben fünf psychiatrische Krankheitsbilder in ihrem Repertoire. Haben Sie schon befürchtet, selbst eine Störung zu entwickeln?

Hütter: Ja. Gleich am Anfang, als ich noch die Vorlesung von Professor Lenz besuchte, bin ich zu ihm gegangen und habe gesagt: "Ich habe das alles". Wir sind kränkbar und verletzlich und in manchen Situationen ist man psychotisch oder zwänglich. Denken Sie nur an die Pubertät, da kennt man sich gar nicht aus mit sich selbst.

derStandard.at: Aus der Arbeit als Schauspielpatientin sind zwei Theaterstücke entstanden. Wie verträgt es das Publikum, psychische Erkrankungen auf der Bühne zu erleben?

Hütter: Die Stücke berichten über psychische Erkrankungen. Es ist tatsächlich für viele Menschen im Publikum erhellend, mitzuverfolgen, wie sich gekränkte Seelen äußern. Da herrscht große Unsicherheit und auch Angst.

derStandard.at: Ist Frau Hager eine Rolle, die Ihr Leben verändert hat?

Hütter: Ja, sie war die erste Patientin, die ich kennengelernt habe. Sie war sehr sympathisch und intelligent und hat in mir das Bedürfnis geweckt, über ihr Schicksal mit meinen Mitteln zu berichten. Die gesamte Arbeit als Schauspielpatientin hat mein Leben beeinflusst. Ich habe aus der Affinität heraus eine Kunsttherapie-Ausbildung gemacht und arbeite mittlerweile auch in Spitälern. (derStandard.at, 21.11.2011)