Bildung wird bei den Baha'i groß geschrieben, doch iranische Universitäten lehnen alle Bewerberinnen und Bewerber ab.

 

"Transit-Gäste" nennt Iradj Pourrahimi jene Iranerinnen und Iraner, die in Österreich auf ihr amerikansiches Visum warten. Sie wollen ihre Gesichter nicht zeigen, weil sie Angst um jene Familienmitglieder haben, die noch im Iran sind.

Foto: derStandard.at/Eder

Iranische Regime-Anhänger sind der Meinung, dass die BBC von Bahai unterwandert ist. Ayatollah Ali Khamenei schürt den Hass gegen die religiöse Minderheit, indem er sie als "Feinde des Islam" bezeichnet.

"Haus der Andacht" in Israel - auf jedem der fünf Kontinente steht eines davon.

Faridah* sitzt in einem Kaffeehaus in Wien und wartet auf ihre Freiheit. Sie nippt an ihrem Cappuccino und erzählt in fließendem Englisch, dass sie die letzten Monate nur auf jenen Zeitpunkt hinfiebert, an dem sie ihr Visum in Händen halten kann. In ein paar Tagen ist es so weit, dann wird Faridah mit ihrer Familie in den Flieger nach Los Angeles steigen und versuchen sich dort eine neue Existenz aufzubauen. 

Im Iran - ihrer Heimat - hätte Faridah notfalls zwar bleiben können, aber als Anhängerin der Bahai-Religion wurden ihr soziales Leben, Berufsleben und vor allem ihre Bildung wesentlich eingeschränkt. Wer als einer der 300.000 Bahai im Iran eine höhere Ausbildung oder einen höheren Beruf anstrebt, für den wird die Religion zum folgenschweren Hindernis. Seit dem Sturz des Schahs und der iranischen Revolution 1979 sind die Repressionen gegen und die Diskriminierung von Bahai stetig am Steigen. "Das Regime sieht es mit Wohlwollen, dass deswegen immer mehr Bahai den Schritt des Auswanderns in Erwägung ziehen. Sie wollen uns loswerden", sagt Faridah.

Auch in der UNO kritisieren immer mehr Staaten - mittlerweile 86 an der Zahl - das Vorgehen Irans gegen Minderheiten und einzelne Bevölkerungsgruppen. UNO-Sonderberichterstatter Heiner Bielefeldt spricht etwa davon, dass die Verfolgung der Baha'i zu den extremsten Formen von religiöser Intoleranz weltweit zählt.

Religion vom Regime nicht anerkannt

Es sind die Aufnahmeformulare einer staatlichen iranische Universität, die für Bahai der Anfang vom Ende ihrer Bildung sind. Dort muss explizit die Religionszugehörigkeit angegeben werden. Bahai steht nicht auf dem Zettel, weil der Iran die Religion nicht anerkennt, sondern als feindliche politische Organisation oder Sekte einstuft. Daher können jene, die sich als Bahai verstehen, auch nicht an den Universitäten angenommen werden. Andere Qualifikationen tun nichts zur Sache. "Wir werden als Bedrohung eingestuft", sagt Faridahs Vater und begründet es damit, dass die Baha'i Religion keinen religiösen Führer hat und eine sehr tolerante, liberale Lebensweise empfiehlt, die auch die Gleichstellung von Mann und Frau fordert.

Universität im "Untergrund"

Die einzige Option überhaupt studieren zu können, war für Faridah das Bahai Institute for Higher Education (BIHE). Das Institut ist 1987 als Notlösung für junge Bahai gegründet worden. Mehr oder weniger im Untergrund werden Kurse und Klassen in den Wohnzimmern und Küchen von Baha'is abgehalten. Mittlerweile gibt es 2.000 Absolventen. Eine von ihnen ist Faridah.

Sie absolvierte einen Bachelor in Buchhaltung und einen MBA. Sie schaffte es anschließend sogar im Jobleben Fuß zu fassen. "Mein Arbeitgeber hat mir allerdings klar gemacht, dass ich über meine Religion Stillschweigen bewahren soll", erzählt Faridah. Trotzdem gab es Personen, die ihrem Arbeitsgeber nahe legten Faridah aufgrund ihrer Religion zu kündigen. Die Chance als Bahai die Karriereleiter hochzuklettern ist verschwindend gering, da die Abschlüsse von iranischen Arbeitgebern - insbesondere von staatsnahen Unternehmen - nicht anerkannt werden.

Professoren inhaftiert

Die iranische Regierung hat mittlerweile ein Auge auf die einzige Bildungsstätte der Bahai - das BIHE-Institut - geworfen. Sie wurde für "illegal" erklärt, im Mai dieses Jahres folgte eine umfassende Razzia in den Wohnhäusern von dreißig Bahai. Sieben Professoren und Beamte wurden verhaftet und zu vier oder fünf Jahren Haft verurteilt. Der simple und unfassbare Grund dafür: Gefährdung der staatlichen Sicherheit aufgrund ihrer Tätigkeit am Institut.

Faridahs Vater hatte Glück. Auch er war Professor am BIHE-Institut. Er erhielt laufend Droh-Emails, in denen er aufgefordert wurde, seinen Job niederzulegen und rechnete deshalb tagtäglich damit, dass Soldaten sein Haus aufsuchen würden, um ihn zu verhaften. Eine Zeit der Angst für die ganze Familie: "Meine Schwester hat während der Razzien dauernd aus den USA angerufen und gemeint, wir sollen uns beeilen", erzählt Faridah. Zwei Wochen nach den folgenschweren Razzien konnten Faridah und ihre Familie dann den Iran verlassen, nach drei Jahren Planung.

Mythen und Vorurteile über Bahai geschürt

15 Jahre lang war es für Bahai nicht einmal möglich das Land zu verlassen, denn ihnen wurde der Pass verwehrt. Und auch mit dem iranischen Pass den Faridah heute in Händen hält ist es alles andere als leicht, international zu reisen. Aus Faridahs Verwandtschaft hat es aber nur ein einziger Cousin vorgezogen im Iran zu bleiben anstatt auszuwandern.

Immer mehr Bahai emigrieren - meistens in Richtung USA oder Kanada. Die Gründe dafür liegen neben den schlechten Job- und Bildungsaussichten und einem öffentlichen Versammlungsverbot auch darin, dass das tägliche Leben von Angst geprägt ist. Über Jahre hin wurden der iranischen Bevölkerung Mythen über Baha'i eingeimpft: "Es gibt islamische Prediger, die davor warnen bei Bahai zu essen, da unser Essen vergiftet sein soll und denjenigen, der es isst, vom islamischen Glauben abbringen würde", erzählt sie. Mitunter kann es aufgrund solcher Indoktrinationen auch vorkommen, dass ein Arzt sich weigert Bahai zu behandeln.

Laufend vierzig Baha'i in Wien

Wer der Verfolgung und Diskriminierung entgehen will, der wartet meist drei oder vier Monate auf das amerikanische Visum - in Drittstaaten. Dazu zählt auch Österreich. Ottilie Käfer, Pressesprecherin der österreichischen Bahai, erzählt, dass sich in Österreich laufend circa vierzig Bahai aufhalten, alle paar Monate kommt und geht ein neuer Schub. Während dieser Zeit sind sie wie selbstverständlich ein Teil der hiesigen Bahai Gemeinde, die in Wien rund 250 Mitglieder zählt. Seit drei Wochen sind allerdings keine neuen "Transit-Gäste" mehr aus dem Iran in Wien eingetroffen, keiner weiß warum. Iradj Pourrahimi, geschäftsführender Sekretär der Baha'i Gemeinde in Österreich, erzählt, dass jene, die überhaupt den Schritt ins Ausland wagen können, vorwiegend aus den Großstädten kommen.

"Hier fühlt man sich frei"

Faridah hat sich in Wien nach über vier Monaten schon fast eingelebt: "Es ist sehr schön hier, lebendig. Die Straßen in Wien sind voller Menschen, so wie in Teheran. Aber im Gegensatz dazu fühlt man sich hier frei. Man kann tun, was man will." Wenn sie könnte, würde sie schon auch in Österreich bleiben wollen, doch die Einwanderungsgesetze hierzulande lassen das nicht zu.

In Los Angeles will Faridah erst einmal zu arbeiten beginnen. Sobald sie und ihre Familie eine gesicherte Existenz haben, wird sie vielleicht wieder studieren. Wenn sie könnte, würde sie sofort wieder zurückgehen in den Iran. Doch die Hoffnung darauf, dass sich an der menschenrechtlichen Lage und politische Situation im Iran in naher Zukunft ändern wird, hat sie aufgegeben: "Ich glaube nicht, dass es so etwas wie die Aufstände im Jahr 2009 bald wieder geben wird. Zu viele Leute wurden getötet und eingesperrt." (derStandard.at, 01.12.2011)