"Der derzeitige Finanzierungsmodus ist nicht mehr zeitgemäß" ist sich Prof. Eva Pichler, WU Wien sicher

Der Versicherungsgedanke unserer Sozialversicherung ist in den wichtigsten Pfeilern längst dahin, Versicherungsabgaben und -ausgaben decken sich meist nicht mehr. Die Krankenversicherung umfasst nahezu alle unabhängig von ihren Beiträgen, kleine Pensionen werden auf das Existenzminimum aufgestockt, hohe steigen Jahr für Jahr mit geringeren Raten, dies führt zu einer deutlichen Nivellierung. Die zugesagten Pensionsversprechungen sind längst nicht mehr haltbar, das System hat viel von seiner Glaubwürdigkeit eingebüßt. Ein Umstieg von "Bismarck" auf "Beveridge" (Steuerfinanzierung) liegt nahe: Im Gesundheitssystem bleiben alle erfasst. Im Pensionssystem wäre ein Umstieg auf die Volkspension (unter Beibehaltung der erwachsenen Ansprüche) zu forcieren, wer mehr will, muss privat vorsorgen. In Frühpension kann nur gehen, wer zumindest Beiträge für die erwarteten Pensionsleistungen zuzüglich der Gesundheitskosten geleistet hat. Was die meisten gar nicht wissen: Versichert wird das Risiko, alt zu werden, entsprechend sollte das reguläre Pensionsantrittsalter strikt an die Lebenserwartung geknüpft werden. Das Pensionsantrittsalter der Frauen sollte raschestmöglich dem der Männer angepasst werden, gemäß Lebenserwartung wäre ein späterer Pensionsantritt der Frauen fairer. Dieses System wäre dem derzeitigen an Glaubwürdigkeit überlegen, da nachhaltig. Die Ausgaben würden aus dem Steuertopf gedeckt, ein einfacher, linearer oder progressiver Tarif würde Sozialversicherungsabgaben und Einkommensteuern ersetzen und vor allem die derzeitigen Bocksprünge vermeiden.


"Nicht in Frage stellen" will Dr.Hans Jörg Schelling unser System

Ein gutes Pensionssystem sichert in Österreich den sozialen Frieden, die Kaufkraft und damit auch den Wirtschaftsstandort. Deshalb ist einem nachhaltigen System mit gesicherter Finanzierung größte Bedeutung zuzumessen. Die soziale Pensionsversicherung hat die Aufgabe, unabhängig von der Entwicklung der Kapitalmärkte eine angemessene finanzielle Versorgung im Alter sicherzustellen. Bedenkt man, dass bei rund 90 Prozent aller ÖsterreicherInnen während der gesamten Lebensarbeitszeit die Beitragsgrundlage unter der Höchstbeitragsgrundlage liegt, ist damit für die grosse Mehrheit der Österreicher der Wohlstand im Alter gesichert. Ein System, welches daher für 90 Prozent der Österreicher ein Einkommen in der Pension sichert, ist nicht in Frage zu stellen. Bei Alterspensionen liegt die Netto-Einkommensersatzrate bei 86,3 Prozent (Männer) bzw. 80,9 Prozent (Frauen). Bei Invaliditätspensionen ist die Netto-Einkommensersatzrate aufgrund der fehlenden Beitragsjahre mit 75,3 Prozent (Männer) bzw. 67,6 Prozent (Frauen) entsprechend niedriger.

Wenn wir also über eine Pensionslücke reden, dann von denjenigen rund zehn Prozent der Bevölkerung, deren Einkommen über der Höchstbeitragsgrundlage liegt. Diese Gruppe kann eigene, individuelle Maßnahmen setzen, die von Betriebspensionen bis zu Lebensversicherungen und anderen Vorsorgeformen reichen.

Die Lebenserwartung steigt, die Dauer der Pensionszahlung wird daher immer länger. Das tatsächliche Pensionsantrittsalter liegt mit knapp unter 60 Jahren (Männer) deutlich unter dem gesetzlichen Pensionsalter. Daher ist der Gesetzgeber gefordert, Maßnahmen zu setzen, das faktische Pensionsantrittsalter dem tatsächlichen Pensionsantrittsalter anzupassen (z.B. Hacklerregelung). Wertvolle Vorschläge hierzu liefert der gemeinsame Vorschlag der Sozialpartner im Rahmen des Bad Ischler Dialoges 2011 (abrufbar unter www.sozialpartner.at). Hier wurden wichtige Maßnahmen altersgruppenbezogen durchleuchtet. Für besonders wichtig erachte ich es, z.B. drohende Invalidität schon durch Frühintervention zu vermeiden. Auch die Angleichung des faktischen und tatsächlichen Pensionsantrittsalter zwischen Männern und Frauen (die verfassungsgesetzliche Regelung sieht einen zu langen Zeitraum vor) wäre dazu ein wichtiger Schritt. (derStandard.at, 1.12. 2011)