Dass Schulbildung das weitere Leben von Kindern maßgeblich beeinflusst, gehört heute zu den Gemeinplätzen in der Bildungsdebatte. Adressiert wird hier meist das Regelschulsystem und seine Probleme. Wir wollten wissen, was aus Mädchen wird, die sich zumindest einen Teil ihrer Schulkarriere außerhalb dieses Systems befanden und stattdessen eine radikal-feministische Grundschulbildung genossen. Wo Frauensprache wichtiger war als Grammatik und Selbstverteidigung bedeutender als Turnen (siehe Artikel "Radikale Schule für kleine Frauen"). Bei den vier Absolventinnen der Virginia-Woolf-Schule, die wir getroffen haben, kam das rückblickend nicht nur gut an.

"Wertschätzung für mich selbst"

"Wenn ich an meine Volksschulzeit zurückdenke, fallen mir viele Erlebnisse ein, allerdings fast keine, die mit Lernen zu tun haben." Ines verbindet ihre Zeit in der Virginia-Woolf-Schule vor allem mit Spielen, Selbstverteidigung und "viel Schokoladepudding-Machen", wie sie schmunzelnd hinzufügt. Später im Gymnasium hatte sie deshalb Probleme: "Ich hatte Defizite gegenüber den anderen SchülerInnen in fast allen Bereichen. Egal ob Mathe, Deutsch oder Sachunterricht."

Trotz der harten Zeit damals schaffte sie aber die Regelschule: Nach erfolgreich abgeschlossenem BWL-Studium arbeitet die 24-Jährige heute in ihrem ersten Job als Assistentin einer Geschäftsführung in Wien.

Ines findet es zwar gut, jungen Mädchen beizubringen, dass sie sich nicht an gesellschaftliche Erwartungen richten müssen, die an Mädchen gestellt werden. Allerdings sei es auch verkehrt, Mädchen zu lernen, dass Männer immer böse und schlecht sind. "Die Männerfeindlichkeit, die in der Virginia-Woolf-Schule sehr stark zum Ausdruck gebracht wurde, kann ich nicht teilen."

Die Grundschule habe ihr "viel Selbstvertrauen und Wertschätzung für mich selbst mitgegeben und mich gelehrt, stolz darauf zu sein, wer ich bin als Mädchen und heute als Frau." Von Männern werde sie sich auf keinen Fall unterdrücken lassen. Und dem Thema Gender blieb sie in gewisser Weise auch beruflich treu: Ihre Spezialisierung im Studium wurde das Gender- und Diversitätsmanagement.

"Zu extreme Umsetzung"

Klara spielt gern mit ihren langen, blonden Haaren, wenn sie spricht. Heute darf sie lange Haare tragen und es macht ihr sichtlich Spaß. In der Virginia-Woolf-Schule gab es diesbezüglich aber öfters Zoff. "Die Lehrerinnen haben uns vermittelt, dass ihnen mädchentypisches Aussehen nicht gefällt." Lackierte Fingernägel waren zum Beispiel ein Problem. Dafür konnten sich die Mädchen mit wilden Haaren ein Lob in der Schule einholen. "Und natürlich wollen siebenjährige Mädchen ihren Lehrerinnen gefallen", gibt sie heute kritisch zu bedenken. Die Lehrerinnen hätten sie manchmal wohl auch bewusst provoziert, um aus ihnen eine wütende Reaktion herauszuholen. "Wir sollten gegen sie ankommen, uns gegen sie auflehnen. Aber so hat das nicht funktioniert."

An der Schule mochte sie, dass sie sehr viele Projekte und Ausflüge machten, auch die Gemeinschaft in der kleinen Gruppe will sie nicht missen. "Dennoch überwiegen bei mir eher negative Erinnerungen. Rückblickend sind das für mich Situationen, wo wir einfach nicht kindgerecht behandelt wurden."

Im Prinzip findet die 21-Jährige die Idee einer eigenen Mädchenschule aber sehr gut. "Es stimmt ja, dass Burschen in der Regelschule oftmals bevorzugt werden." Die Umsetzung in der Virginia-Woolf-Schule sei allerdings in vielerlei Hinsicht "zu extrem" gewesen. Das Hauptproblem sieht sie darin, dass die Lehrenden keine pädagogische Ausbildung hatten. "Es sollte immer alles transparent und offen vor allen besprochen werden. Das hat uns als Kinder oftmals überfordert."

Nach der Matura nahm sich Klara erst einmal ein Jahr Auszeit, jetzt macht sie eine Lehre als Friseurin in Wien, um später einmal als Maskenbildnerin am Theater arbeiten zu können. Sich selbst als Feministin zu bezeichnen, das gefällt ihr nicht. "Eine Anti-Feministin bin ich aber freilich auch nicht. Gleichberechtigung und frauengerechte Sprache finde ich schon wichtig."

"Sie hätten uns mehr fördern können"

Anna versteht sich heute als politisch aktiv. Wer oder was sie in diese Richtung prägte, kann sie rückblickend nicht genau benennen: War es die Schule, war es ihr politisiertes, familiäres Umfeld oder die UniBrennt-Bewegung, an der sie sich beteiligt hatte? Vermutlich war es von allem ein bisschen etwas.

Gut gefiel ihr an der Virginia-Woolf-Schule jedenfalls das Fach Selbstverteidigung. "Das hat eigentlich allen wahnsinnig getaugt". In der Schule hätten die Mädchen kreativ sein können, es wurde viel gebastelt, selbst Geschichten geschrieben, gemalt; auch die Freiräume, die ihnen zur Selbstbeschäftigung gelassen wurden, findet die 21-Jährige rückblickend toll.

Schade findet sie, dass das Lernpotential, das eine so kleine Gruppe bringt, zu wenig genutzt wurde. "Sie hätten uns schon mehr fördern können". Auf dem Gymnasium merkte sie dann, dass sie nicht auf demselben Bildungsstand wie die anderen Gleichaltrigen war.

Was sie heute auch kritisiert, war die männerfeindliche Einstellung bei den meisten Schulfrauen. "Wir haben schon vermittelt bekommen, dass von Männern und auch Vätern nichts Gutes zu erwarten ist." Als kleines Mädchen habe sie deshalb regelrecht Angst vor Männern gehabt.

Da es sich beim FZ um einen reinen Frauenraum handelt, durfte beispielsweise auch ihr damals 9-jähriger Cousin nicht mit hinauf kommen, wenn ihre Tante sie von der Schule abholte. "Es gab ein riesen Geschrei, auch die anderen Mädchen wurden regelrecht hysterisch, dabei war mein Cousin doch noch ein Kind", erzählt Anna. "Das sind Erlebnisse, die ich niemals vergessen werde."

Die Germanistik-Studentin sieht sich heute schon als Feministin. "Aber nicht so, wie uns das damals vermittelt wurde. Einem kleinen Mädchen vorzuschreiben, wie es sich kleiden soll, ist für mich kein Feminismus".  Und: "Ich bin für Gleichstellung, aber das heißt ja nicht, dass ich mein ganzes Leben gegen das System ausrichten muss."

Unterfordert

Aus ihrer Grundschulzeit vermisst Alina eigentlich nichts. "Es geht mir in keinster Weise ab, in der Frauensprache reden zu müssen", vermerkt sie knapp. Sie hätte diese Jahre in der Virginia-Woolf-Schule anderswo wesentlich besser nützen können.

Schulisch gab es das Problem, dass sie sich vom Unterrichtsstoff nicht gefordert fühlte. "Ich war immer sehr gut in der Schule und habe mich schnell gelangweilt. Erst jetzt im Studium habe ich das Gefühl, dass ich geistig richtig gefordert werde", so die Master of Business Administration (MBA)-Studierende.

Von strikten Vorschriften, wie die Mädchen auszusehen und sich zu verhalten hatten, berichtet auch Alina. Sie hätten zu Mittag stets zu zweit von einem Teller essen müssen, weil das als frauenfreundliches Verhalten gewertet wurde. "Bis heute graust mir davor, mit anderen Menschen mein Essen zu teilen", so die 21-Jährige.

Wie ihre Kolleginnen findet sie die Idee einer reinen Mädchenschule aber prinzipiell gut. Allein, bei der Virginia-Woolf-Schule hätten viele Faktoren nicht gestimmt: "Sie hatten diese Verbissenheit aus uns etwas zu machen, das sie gerne gehabt hätten, anstatt uns einfach so sein zu lassen wie wir waren."
Von der aktuellen Schuldebatte erhofft sie sich, dass SchülerInnen künftig individueller gefördert werden, damit sie leichter ihren beruflichen Weg finden. Außerdem hält sie es verfrüht, wenn SchülerInnen schon mit 14 vor die Wahl gestellt werden, was sie einmal werden wollen. "Viele wissen nicht mal mit 20 was sie werden wollen." (Ina Freudenschuß, dieStandard.at, 1.12.2011)