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Österreich und Deutschland haben von der Eurozone enorm profitiert - nach der Berg- scheint allerdings die rasante Talfahrt derzeit vorprogrammiert.

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Annina Kaltenbrunner: Wenn Deutschland nicht will, wird das alles auseinander brechen. Das wäre der zweite, und aus meiner Sicht leider wahrscheinlichere Weg.

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Was liegt da in der Luft? Derzeit leider nicht viel Gutes, sagen viele Ökonomen.

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Die Lage in der Eurozone ist ernst. Soviel ist sicher. Die Politik scheint mit ihren Maßnahmen immer einen Schritt hinterher. Annina Kaltenbrunner, Ökonomin an der Universität Leeds Business School (LUBS), hat mit einem Volkswirte-Team in einer Studie (Breaking up? A Route out oft the Eurozone Crisis) die Lage analysiert und kommt zu dem Schluss, dass es ohne Fiskalunion mit gemeinsamer Preis- und Lohnpolitik nicht gehen wird. Warum ihr ein Auseinanderbrechen der Eurozone derzeit wahrscheinlicher erscheint, als eine Lösung des Problems, erklärt sie im Interview.

derStandard.at: "A Route out of the Eurozone Crisis" lautet der Titel zu der Studie, an der Sie mitgearbeitet haben. Sie wurde gerade rechtzeitig zu einem weiteren Krisenhöhepunkt fertig. Was war der Ausgangspunkt?

Annina Kaltenbrunner: Die Idee war, einen eher links-kritischen Bericht zu schreiben und auch zu hinterfragen, was in den Medien berichtet wird. Wir wollten den Fokus ein bisschen weg von den Finanzproblemen hin zur arbeitenden Bevölkerung lenken. Das, was sich in den letzten Monaten so an den Finanzmärkten entwickelt hat, haben wir in den vorhergegangenen Reports vorausgesehen.

derStandard.at: Das gesamte Drama hat sich deutlich abgezeichnet?

Kaltenbrunner: Wir haben schon im ersten Report gesagt, dass sich – wenn nicht schnell etwas gemacht wird – wirklich die Frage stellen wird, ob manche Länder in der Eurozone bleiben sollen. Derzeit spitzt sich diese Entwicklung zu.

derStandard.at: An politischer Entscheidungskraft mangelt es Europa seit Ausbruch der Krise. Wie sehr spielt das eine Rolle bei der Entwicklung?

Kaltenbrunner: Ganz sicher hat niemand erwartet, dass Deutschland mit seiner Auktion am Kapitalmarkt nicht so erfolgreich ist. Viele Stimmen haben gemeint, dass dies nicht nur ein Problem der peripheren Länder ist, sondern ein strukturelles Problem der Eurozone. Aber um die Frage zu beantworten: Die Zauderhaftigkeit Deutschlands spielt auf jeden Fall eine Rolle, dass die Angst der Finanzmärkte nun auch auf die Coreländer überschwappt.

derStandard.at: Wir sind mittlerweile theoretisch soweit, dass man darüber diskutiert in die EU-Verträge einzugreifen. Ist man damit am Kern des Problems dran?

Kaltenbrunner: Jein. Es gibt in dieser Situation nur zwei Wege: Entweder wir gehen wirklich in Richtung einer Fiskalunion, dann braucht es Eingriffe in die Verträge. Das wäre die richtige Richtung. Ich bin mir nicht ganz sicher, dass der Wille Deutschlands dafür wirklich da ist. Frau Merkel ziert sich ziemlich und zögert das sehr hinaus, zum Schaden der gesamten Eurozone. Wenn Deutschland nicht will, wird das alles auseinander brechen. Das wäre der zweite, und aus meiner Sicht leider wahrscheinlichere Weg.

derStandard.at: Gesetzt den Fall, Deutschland will nicht, und die Eurozone bricht auseinander, würde das wohl Wohlstandsverlust für uns alle bedeuten?

Kaltenbrunner: Ja. Es muss den Österreichern und den Deutschen bewusst sein, dass das auch für die Kernländer massive Auswirkungen hätte. Kurzfristig natürlich durch die Wirtschaftskrisen, die in den peripheren Ländern entstehen würden: Ansteckung der Banken, des Handels. Langfristig, wenn die peripheren Länder ihren Wechselkurs wieder haben, und um die Wettbewerbsfähigkeit wieder herzustellen, abwerten.

derStandard.at: Auch eine Fiskalunion wird allerdings Opfer erfordern…

Kaltenbrunner: Deutschland hat zum Beispiel Angst, dass in einer Fiskalunion die deutschen Zinsen massiv beeinflusst würden. Die deutsche Bonitätsnote würde nicht mehr so gut ausfallen. Wenn man die Schwächen der peripheren Länder in das eigene Rating aufnehmen muss, das tut natürlich weh.

derStandard.at: Was könnte eine Weichenstellung herbeiführen?

Kaltenbrunner: Kurzfristig ist wirklich die Frage, ob eine Weichenstellung nicht entweder durch den Finanzmarkt oder durch die peripheren Länder erfolgt. Die Bevölkerung könnte sagen, wir wollen nicht mehr. Das ist eine reale Möglichkeit. Die Stimmen, die sich für einen Austritt aus der Eurozone stark machen, mehren sich. Verständlicherweise, denn die sozialen Bedingungen sind – vor allem in Griechenland – sehr harsch.

derStandard.at: Wie schnell könnte das gehen?

Kaltenbrunner: Damit die Bevölkerung wirklich sagt, es reicht, müssen vermutlich und leider die sozialen Kosten in diesen Ländern noch ein bisschen steigen. Wenn der Druck von den Finanzmärkten ausgeht, kann das sehr schnell gehen, denn wie wir wissen, sind die leider unvorhersehbar. Man sollte sich schon bewusst sein, dass das Problem eigentlich zum Großteil von den Finanzmärkten geschaffen wird. Ja, es gibt Verschuldungsprobleme und ja, es gibt strukturelle Probleme, aber diese Massivität und dieser Fokus auf Staatsverschuldung reflektiert schon auch die Dominanz des Finanzsektors.

derStandard.at: Vielleicht machen wir aus dem abstrakten Finanzsektor etwas konkretere Akteure wie Pensionsfonds zum Beispiel. Die müssen für ihre Kunden ja auch in längerfristigen Perspektiven denken. Der kurzfristige Profit alleine wird sie wohl auch nicht treiben?

Kaltenbrunner: Aber wenn Panik an den Finanzmärkten herrscht, können sich auch die längerfristigen Investoren Trends nicht entziehen. Die müssen eben auch ihr Kapital schützen und verkaufen.

derStandard.at: Mit strengerer Regulierung der Märkte tut man sich nicht nur in Europa einigermaßen schwer. Würde das helfen?

Kaltenbrunner: Wenn man wirklich eine Fiskalunion und eine Restrukturierung schafft, muss natürlich auch ein Teil Schuldenkürzung sein. Die Griechen können mit den Schulden, die sie haben, nicht weitermachen. Und da müssen einfach auch die Banken Verluste hinnehmen und akzeptieren, dass, wenn man ein Risiko aufnimmt und Gewinne macht, es eben auch ein Verlustrisiko gibt. Die Banken können nicht erwarten, dass die Europäische Zentralbank ihnen die Staatsanleihen der peripheren Länder abnimmt, was passiert ist. Die müssen auch Verluste einstecken. Diese Angstmache der Finanzmärkte dominiert die Rhetorik.

derStandard.at: Sie sprechen von den bekannten Argumenten: Wenn es uns schlecht geht, geht es allen schlecht.

Kaltenbrunner: Das ist eine permanente Erpressung und das seit Mitte 2007. Jetzt müssten die Regierungen schon alleine wegen der Symbolhaftigkeit sagen: Es reicht. Die haben massiv profitiert, bekommen ganz billige Liquidität von der EZB und können sie dann in periphere Bonds anlegen zu sieben, acht Prozent. Das ist ja der Finanzhimmel.

derStandard.at: Zurück auf den Boden: Alle skizzierten Maßnahmen, wie Rettungsschirm in Variationen, strengere Budgetkontrolle, Eurobonds, Elitebonds, Bankenrekapitalisierung würde nur einzelne Wunden behandeln und nicht den gesamten Patienten heilen?

Kaltenbrunner: Genau. Der Ruf nach einem stärkeren Eingreifen der EZB birgt das Problem, dass hinter der Zentralbank kein Staat steht. Wenn also die EZB massiver eingreift und Schuldentitel kauft und dadurch natürlich ihre Bilanz massiv ausweitet, wird irgendwann auch einmal die Frage der Rekapitalisierung kommen. Die US-Notenbank kann durch den amerikanischen Staat rekapitalisiert werden. Diese Möglichkeit gibt es in Europa nicht. Auch bei den Eurobonds läuft es im Endeffekt darauf hinaus, dass es so etwas wie einen einheitlichen Staat geben muss. Das muss man alles nicht erfinden: Wenn man eine Währungsunion gründet, muss man auch zur ökonomischen Theorie zurückgehen und sagen es braucht entweder ganz massive fiskale Transfers oder es braucht einen einheitlichen Staat.

derStandard.at: Welche Interessen sprechen dagegen?

Kaltenbrunner: Auch das Kapital hat profitiert von der Struktur der Eurozone. Eine Währungsunion mit einheitlichem Wechselkurs ist gut für den Finanzsektor, weil sich das Wechselkursrisiko ausschließt. Der Handelssektor kann in diese Länder verkaufen – mit geringeren Löhnen, mit geringeren Kosten. Es gibt also sehr wohl Segmente die von dieser Union sehr profitieren, aber das auf Kosten der Lohnbezieher, denn die Löhne sind gedrückt worden.

derStandard.at: Sind die niedrigen Löhne nicht gut für die Konkurrenzfähigkeit?

Kaltenbrunner:
Mit Löhnen als Wettbewerbsfaktor haben wir ohnedies keine Chance. Europa hat andere Stärken wie Technologie, Wissen, Ausbildungsniveau etc. Die Lohnkosten sind – auch wenn man mit Unternehmern selbst redet – oft absolut überbewertet.

derStandard.at: Zurück zur Fiskalunion: Die so genannten Vorzeigeländer – inklusive Österreich – haben das Gefühl, dass sie, weil finanziell besser ausgestattet, schlampig wirtschaftende Länder aushalten müssen. Welche Argumente kann man ihnen für eine solche Union liefern?

Kaltenbrunner: Das ist ein spannender Punkt. Denn hier wird die Geschichte von Ländern wie Österreich oder Deutschland neu geschrieben. Sie haben auch ganz stark einen Nutzen aus der Eurozone gezogen. Ein Grund warum es Deutschland relativ besser geht, ist, dass sie ihre Löhne in Relation zu anderen Ländern niedrig gehalten haben und in die peripheren Länder exportieren konnten. Die Österreicher haben unter anderem ganz stark vom osteuropäischen Markt profitiert.

derStandard.at: Dieses Argument scheint aber bei weitem nicht überzeugend genug?

Kaltenbrunner: Diese Fiskalunion wäre ohnedies nicht genug. Man müsste die strukturellen Ungleichgewichte wie unterschiedliche Lohn- und Inflationsraten in der Europäischen Union aufheben. Sie erzeugen für die peripheren Länder Wettbewerbsprobleme. In der ökonomischen Theorie ist dezidiert ausgeführt, dass eine monetäre Union nur funktionieren kann, wenn man vor allem ein einheitliches Preis- und Lohnniveau hat. Um die Eurozone erhalten zu können, muss sich auch Deutschland in einer gewissen Weise anpassen und die Löhne erhöhen. (Regina Bruckner, derStandard.at, 1.12.2011)