Drachen, Sphinxen, Ornamente: Einmal im Jahr messen sich in Lake Louise die professionellen Eisschnitzer und hämmern, klopfen und sägen in 34 Stunden weltmeisterliche Eisskulpturen.

Foto: Doris Priesching
Foto: Doris Priesching
Foto: Doris Priesching
Foto: Doris Priesching

Anreise: Flüge mit Lufthansa und Air Canada ab Wien.

Unterkunft: Fairmont Château Lake Louise und Fairmont Jasper Park Lodge: www.fairmont.com

Als Stützpunkt zwischen Calgary und Icefield Parkway empfiehlt sich das Juniper.

Grafik: DER STANDARD

Einmal im Jahr, jedes dritte Wochenende im Jänner, herrscht im noblen Fairmont Château in Lake Louise in Kanada Ausnahmezustand. Man könnte genauso gut sagen: Der Bär ist los. Aber das hätte in dieser Gegend eine alarmierende Bedeutung. Weil Bären im Sommer hier so gut wie überall, im Winter aber durch Schlaf außer Sichtweite sind, ihr Erscheinen also einigermaßen beunruhigend, weil übernatürlich wirken könnte. Also ist nur der sprichwörtliche Bär los, aber im Sinne von: Ausnahmezustand.

Übernatürlich wirkt an diesem Wochenende sowieso alles: Drei Tage lang hämmern, klopfen, sägen und bügeln Eiscarver von frühmorgens bis spätabends kunstvolle Figuren in die Eisblöcke. Unter der Schirmherrschaft der National Ice Carving Association (Nica), dem internationalen Dachverband der Eisschnitzer, messen sich professionelle Eisbildhauer aus den USA, Kanada, Japan, Russland, Großbritannien, den Niederlanden und Armenien miteinander. In Zweierteams stellen sie sich einem strengen Reglement. Zwölf Mannschaften mit je zwei Eisschnitzern müssen aus jeweils 15 Eisblöcken - jeder 135 Kilo schwer - innerhalb von 34 Stunden eine weltmeisterliche Eisskulptur erschaffen: Mindestgröße zwei Meter, Maximum vier. Schnee ist als Bindematerial verboten, die Figuren dürfen nicht zusätzlich dekoriert werden. Keine Dekorationen, nur Eis und Wasser.

Bis tief in die Nacht werken sie. Am Morgen blickt eine glitzernde Gemeinde aus Drache, Drachentöter, Schlange, Obelisk, Totenkopf, Harry Potter und Bugs Bunny über den See in Richtung Mount Victoria, manche sind so hoch, dass sie hinauf bis zum blitzblauen Gletscher schauen können.

Für die Besucher ist das wie Kirtag - auf hohem Niveau, versteht sich. 20.000 Besucher kommen an diesem Wochenende, um die rund ein Dutzend glitzernden, blinkenden Skulpturen des Ice Magic Festival. Sie bringen Leben in die abgelegene Luxusbleibe mitten in den Rocky Mountains: ein Spektakel für die ganze Familie. Mit Kind und Kegel campieren sie in der Lobby, Gepäckstücke der An- und Abreisenden türmen sich auf den Wagen der Concierges, die mit Shuttle-Bestellen, Abholen und Türöffnen keine Minute Stillstand haben. An der hoteleigenen Verleihstelle werden Eislaufschuhe, Schneeschuhe, Skier ausgeborgt und zurückgegeben, die erschöpften Gäste machen Kaffeepausen in den hoteleigenen Restaurants und Bars, setzen sich im Foyer auf die Stufen zum Verschnaufen, fotografieren den Mountie in der Lobby oder geben sich dem Rausch des Shoppens und Schauens im Untergeschoß hin, wo Geschäfte dazu einladen.

Endlose Nadelwälder

Das Setting des berühmten Fairmont Château gehört zu den spektakulärsten, das ein Hotel überhaupt haben kann. Rambazamba-Stimmung hin oder her.

"Horch", sagt Bruce Bembridge. Die Gruppe horcht: nichts. Nur zehn Minuten vom Trubel des Hotels entfernt herrscht Stille. Absolute Stille. Bruce, Schneeschuhguide, führt durch den endlosen Wald, wo ein Baum ausschaut wie der andere. Bruce zu folgen ist ratsam. Er kennt sich aus in den endlosen Nadelwäldern. Seit 40 Jahren führt er Gruppen, bei Tag und bei Nacht, und versorgt sie mit Geschichten über Pilger und wilde Tiere.

Sechs Monate muss der Hund alt sein, dann wird er an das Schlittengespann gewöhnt. Im Alter von einem Jahr läuft er in der Gruppe, 30 Minuten, drei- bis viermal täglich. Ihre Höhepunkte, beim Laufen drücken sie sich fest aneinander und lassen ihrer Natur freien Lauf. Vor lauter Vergnügen (oder Anstrengung?) furzen die Hunde andauernd vor sich hin und nebeln die staunenden Insassen ordentlich ein. Die konzentrieren sich auf die Ausblicke im Abendlicht: die bestrahlten Rockies, die tiefschwarzen Föhren und der Schnee, Alaska Huskies.

Wer noch mehr Ruhe braucht, geht am besten Ski fahren. Das ist in den Rockies noch reines Naturerlebnis und nicht Nebenbeschäftigung als Dauerparty und -saufen ist. Sich mit Alkohol und Dudelmusik zuzudröhnen ist undenkbar. "Auf keinen Fall", sagt Steve und schaut uns entgeistert an. Wie man nur auf so eine Idee kommen kann! Der Europäer ist nicht minder erstaunt: an keinem Tisch die "heiße Witwe", das "Feigerl" oder "Beschwipste Helene". Kein tödlicher Humptata-Rhythmus, der zum maximalen Konsum animieren soll und gruselige Gemütlichkeit vorgibt. Der stumpfe Wahnsinn österreichischer Versorgungskultur ist hier völlig unbekannt. Sachlichkeit herrscht in diesen Hütten: Wer Sport betreibt, bekommt Hunger und Durst, diesen gilt es zu stillen, sei es mit Mitgebrachtem oder Gekauftem. That's it.

Rund 300 Kilometer nördlich, in Jasper, ist es nicht anders. Champaign Powder ist hier zwar nicht, den gibt es vor allem beim Heliskiing auf der anderen Seite, westlich in British Columbia. Die Naturerlebnisse sind hier aber nicht viel schlechter. Eichkätzchen überqueren die Piste, riesige Raben drehen ihre Kreise über den Hängen, Wälder, so weit das Auge reicht. Und: Stille.

Dazwischen liegt der Icefield Parkway. 150 Gletscher hält die Prachtstraße bereit, der eindrucksvollste ist der Athabascar-Gletscher mit bis zu 300 Meter hohen Abbrüchen. Im Sommer scharen sich hier die Touristen zum Fotoknipsen, im Winter steht man allein vor diesen Monumenten.

Im Fairmont Château ist inzwischen wieder Ruhe eingekehrt. Die Gäste sind abgereist, die Eisschnitzer stehen in stillem Stolz vor ihrem Werk, wissend, dass in ein paar Monaten nur noch eine Lacke davon übrigbleiben wird. Den magischen Figuren scheinen ebenso gelassen. Im Mondschein entfalten sie ihre wahre Pracht - und jetzt auch endlich Magie.  (Doris Priesching/DER STANDARD/Rondo/02.12.2011)