Wien - Es war nicht viel mehr als eine Andeutung, die der Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi am Mittwoch gemacht hat. Aber wer mochte, konnte in seinen Worten die Ankündigung eines Dammbruchs erkennen: Um die Eurozone zu stabilisieren, müssten in erster Linie Politiker agieren, sagte Draghi vor dem EU-Parlament. Doch sollte die Politik Ergebnisse liefern und Einsparungen umsetzen, "könnten weitere Elemente folgen".

Was so unverfänglich klingt, ist in den Augen einiger Beobachter der Anlauf zu einer beispiellosen Intervention der Zentralbank an den Märkten. Nach monatelangem Widerstand könnte die EZB erstmals zum Ankauf von Staatsanleihen von Schuldenländern wie Italien und Spanien im ganz großen Stil bereit sein. Da die EZB unbegrenzt Euro "drucken" darf, könnte sie theoretisch in unbegrenzten Mengen Anleihen kaufen, um so den angeschlagenen Staaten zu helfen.

Doch das Einschreiten der EZB ist höchst umstritten. Zweifelsfrei ist, dass die Käufe der Bank an den Märkten zumindest kurzfristig Wirkung entfalten. Die Zentralbank hat bereits im Mai 2010 ihr "Securities Markets Programme" zum Kauf von Staatsanleihen in begrenzten Mengen gestartet. Jedes Mal, wenn die EZB intervenierte, fielen die Renditen für die Wackelländer. Am neunten November etwa hätte Italien Investoren einen Zinssatz von 7,5 Prozent bieten müssen um an einen zehnjährigen Kredit zu kommen. Einen Tag später sanken die Renditen dank der EZB-Käufe wieder unter sieben Prozent-Marke. Durch die größere Nachfrage steigen die Anleihenkurse, die Renditen entwickeln sich gegengleich dazu. Experten wie Allianz-Finanzchef Paul Achleitner schätzen den Effekt der Zentralbank-Hilfen auf einen Prozentpunkt: Wenn Italien derzeit 7,2 Prozent Zinsen zahlt, wären es ohne EZB 8,2 Prozent.

Doch der Einsatz ist rechtlich ebenso umstritten wie ordnungspolitisch. Direkte Staatsfinanzierung ist der Zentralbank ohnehin untersagt, indirekte argumentiert sie mit ihrem Auftrag der Finanzmarktstabilität. Zahlreiche Ökonomen meinen, dass weitere Hilfen die Preise ansteigen lassen würden. "Das ist der beste Weg in die Inflationsunion", sagt der Berater und frühere Nationalbankdirektor Josef Christl zum Standard.

"Angst um das Geld"

"Durch das Gelddrucken bekommen die Leute Angst um ihr Geld und kaufen Gold und noch mehr Immobilien", meint der Experte. Vor allen, wenn die Konjunktur wieder anziehe, könnten die Preisspirale in Gang gesetzt werden. Wifo-Ökonom Franz Hahn verweist zudem auf Vorziehkäufe, die bei hohen Inflationserwartungen einsetzen und eine Preisspirale in Gang setzen können. Zudem werde durch die Staatsfinanzierung auch Nachfrage geschaffen, indem Beamte gezahlt oder öffentliche Einkäufe getätigt werden, betont Christl.

Letztlich geht die Zentralbank auch ein Risiko ein, wenn sie Staatsanleihen kauft, da diese an Wert verlieren können. Im Falle Griechenlands zeigt sich schnell, wie groß die Gefahren sind: Die EZB ist dort mit rund 60 Mrd. Euro engagiert, zudem sitzt sie auf hohen Beständen, die sie zur Besicherung von Bankkrediten entgegengenommen hat. Das Kapital von künftig elf Milliarden könnte rasch aufgezehrt sein, die Notenbanken, und damit indirekt die Steuerzahler, wären dann zur Aufstockung gezwungen.

Nach Ansicht des deutschen Wirtschaftsweisen Peter Bofinger sind die Inflationsängste allerdings übertrieben. Da die Eurozone derzeit auf eine Rezession zusteuere, sei eine Deflation, also ein Absinken des Preisniveaus, die realere Gefahr. Elwin de Groot, Analyst bei der Rabobank, kam allerdings durch einen Analyse historischer Daten (Inflation, Geldpolitik der EZB) zu dem Schluss, dass EZB-Interventionen Preise sehr wohl beginnen anzuschieben, sobald sie die Grenze von 300 Milliarden Euro erreichen.

Um juristische Probleme zu umgehen, könnte die EZB ihr Engagement über den Internationalen Währungsfonds ausüben. Indem etwa die Euro-Zentralbanken Währungsreserven oder Gold dem IWF als Sicherheiten zur Verfügung stellen, der dann die Hilfen für Italien oder Spanien organisieren würde. Diese Variante hätte auch deshalb Sinn, weil der Währungsfonds Erfahrungen bei den wirtschaftspolitischen Auflagen hat. Dass die EZB Sanierungsprogramme entwirft und deren Umsetzung kontrolliert, ist für Experten schwer vorstellbar. Franz Hahn kann sich den IWF-Umweg allerdings schwer vorstellen. Allein schon der Umstand, dass die EU-Staaten in verschiedenen Ländergruppen vertreten sind und nicht einheitlich auftreten, erschwere eine Bündelung von Notenbankressourcen im Fonds.

Klar ist jedenfalls, dass der IWF sein Engagement in Europa ohne Gegenleistung nicht ausweiten kann. Dem alten Kontinent hat der Fonds bereits den überwiegenden Anteil seiner Mittel geliehen, an weiteren Hilfen "haben Asiaten und Amerikaner kein Interesse", meint Christl. Zuletzt wurde über ein Programm in Höhe von 600 Mrd. Euro für Italien spekuliert, das wären 6000 Prozent der italienischen Quote beim IWF. In der Regel geht der Fonds nicht über 500 Prozent hinaus. (as, szi, DER STANDARD; Print-Ausgabe, 2.12.2011)