Das Cover von "Replica" von Oneohtrix Point Never zeigt einen Vampir, der in den Spiegel schaut. Es stammt aus einem Pulp-Heft der 30er-Jahre. Der Künstler heißt Virgil Finlay.

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Freunde der avancierten elektronischen Instrumentalmusik aus den 1970er- und 1980er-Jahren durften sich kürzlich über ein altersmildes, im alteingesessenen Größenwahn parallel zum biologischen Schrumpfen kleiner werdendes Stadion-Clubkonzert des französischen Klangmagiers Jean-Michel Jarre in der Wiener Stadthalle freuen. Oxygène, Equinoxe und all das.

Das ist Ohrenschmalz für Freunde der käsigen Esoterik unter besonderer Berücksichtigung atmungsaktiver Leinensandalen, rescher Hanfwarenaufzucht im nördlichen Waldviertel und einer musikalischen Majestät, die sich als Hintergrundsoundtrack zu Skiflugzeitlupenstudien ebenso empfiehlt wie als mit falschen Jubelperser-Trompeten trötende Beschallung von Servus-TV-Helikopterflügen über die österreichischen Alpen - falls Hubert von Goisern einmal das Juchazen nicht gelingen mag. Ja, wir alle wissen, dass Tangerine Dream einmal drei Sekunden lang super Musik gemacht haben und Vangelis, bevor er im Blade Runner zu Michael Cretu wurde, einmal gemeinsam mit Demis Roussos, dem König von Griechenland, in der Band Aphrodite's Child herzzerreißend schöne Musik im Zeichen des als Progressive Rock gedeuteten deutschen Schlagers englischer Zunge schuf.

Deodato, Angelo Badalamenti, Gandalf, Eela Craig, die Soundtracks von Pacman, Donkey Kong, Knight Rider und grell ausgeleuchteten medizinischen Lehrfilmen von Prof. Rocco Siffredi. Dazu ein bisschen Mondbasis Alpha 1, Ein Colt für alle Fälle und Lolek und Bolek sowie als moderne Prise das Barbie Girl von Aqua und den Michel-Vaillant-Gedächtnispreis vom französischen Bauerntechnoduo Daft Punk:

Der US-amerikanische Musiker Daniel Lopatin nimmt all diese Einflüsse tatsächlich aus den Weiten von Youtube auf, sampelt Fernseh- und Film- und auch Werbegeschichte und baut daraus unter dem Pseudonym Oneohtrix Point Never das faszinierende Album Replica. Kunst im Zeichen des künstlerisch erhöhten, auffrisierten Kopistentums.

Das ist die zentrale Botschaft unserer Zeit: alles schon dagewesen. Leider auch: gekommen, um zu bleiben. Daniel Lopatin verdichtet den Klangschrott unserer Jugend zu einem bizarren, schroffen, geschredderten und bedrohlichem Meisterwerk des Schreckens. Käsig klingt es sowieso. Nach seiner New-Age-Zerlegung Returnals aus dem Vorjahr eine weitere Mahnung an die Kinder. Passt bloß auf! Aber jetzt zur Beruhigung erst einmal eine Folge Baywatch schauen. (Christian Schachinger / DER STANDARD, Printausgabe, 2.12.2011)