Null Einkommen, aber 645 Euro Sondersteuer: Der arbeitslose Werftlackierer Yannis kommt mit Frau Joanna und Sohn Ireneos zur Klinik von Ärzte der Welt.

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Auf den Paketen steht in Schönschrift: "me agapi" - "mit Liebe". Das ist die Botschaft der Spender, die seit Wochen aus ganz Griechenland kleine Kartons zu den Kliniken der NGO Ärzte der Welt schicken. Bohnen, Reis, Nudeln, Kindernahrung, ein wenig Kleidung oder Spielzeug von Privatleuten, Supermärkten, Kindertagesstätten. Nach zwei Jahren Finanz- und Wirtschaftskrise bricht nun ein Teil der griechischen Gesellschaft weg.

Es sind die "sehr, sehr Armen", sagt Nikitas Kanakis, der Direktor der zwei Polykliniken von Médecins du Monde im Großraum Athen. Bis vor kurzem kamen fast nur illegale Immigranten aus Afrika und Asien, um sich von den Ärzten behandeln zu lassen. "Sieben Prozent waren Griechen, jetzt sind es 30", sagt Kanakis. Sie kommen nicht nur wegen Blutdruck-Tabletten oder Antibiotika, sie holen sich auch etwas zu essen.

Der Stolz ist so ziemlich das Letzte, was die Griechen aufgeben würden. Doch für viele ist es jetzt so weit. "Sie bitten nicht um Lebensmittel. Wir sehen es, und dann geben wir sie ihnen. Sie sagen: 'Wir waren vorher nicht in einer solchen Lage". Und dann weinen sie", so berichtet Artemis Lianou von Ärzte der Welt in Perama, einer Kleinstadt hinter Piräus, eine Fahrtstunde vom Zentrum Athens.

Perama war eine Werftstadt. 1200 Arbeiter haben hier seit Beginn der Krise ihre Jobs verloren. "Wir haben sie wegen der Politiker verloren", sagt Vassilis, ein Lackierer, "wenn du Leute aus der Regierung kennst, dann behältst du deinen Job." Der 46-Jährige kommt wegen Tabletten, eines seiner Kinder ist Epileptiker. 80 Euro im Monat müsste er für Medikamente zahlen. Eine unmögliche Aufgabe. Wer länger als ein Jahr arbeitslos ist, hat keine staatliche Hilfe mehr. Auch Arztbesuche und Medikamente müssen dann bar bezahlt werden.

Yannis, ein anderer früherer Werftlackierer, der mit seiner Familie zu den Ärzten geht, kann schon seit zwei Jahren nicht mehr den Kredit für die eigene Wohnung bedienen. Dafür kam im November zusammen mit der Stromrechnung die neue Sondersteuer auf Immobilien: 645 Euro. Ein Fantasiebetrag für den 56-Jährigen. Wenn er an drei Tagen im Monat Arbeit am Bau findet, ist er schon glücklich, sagt er.

20 Prozent der Stromrechnungen mit der neuen jährlichen Steuer sind laut Angaben des öffentlichen Stromversorgers nicht bezahlt worden. Für Nikitas Kanakis, den Direktor von Médecins du Monde in Athen, ist das auch der Teil der Griechen, die nun unter die Armutsgrenze gerutscht sind.

Im Budget von Lukas Papademos stehen diese Steuereinnahmen gleichwohl. Der Übergangspremier hat nach drei Wochen im Amt am Donnerstag seinen ersten größeren Streik erlebt. Öffentliche Transporte, Schullehrer und Journalisten legten aus Protest gegen den Sparkurs die Arbeit nieder. (Markus Bernrath, DER STANDARD; Print-Ausgabe, 2.12.2011)