Embryonale Stammzellen von Mäusen lieferten den Schlüssel zu einer Methode, nach der Forscher seit Jahren suchten.

Foto: Imba

Wien - Zuletzt sorgte das Bio-Gift Rizin im August dieses Jahres für Horrormeldungen: Die Terrororganisation Al-Kaida drohte, Rizin-Bomben bei Anschlägen in Einkaufszentren oder U-Bahn-Stationen einzusetzen. Rizin, ein Inhaltsstoff der Rizinusstaude, gilt als eines der tödlichsten Gifte der Natur: Es blockiert die Proteinbiosynthese, den wichtigsten lebenserhaltenden Prozess in Zellen. Schon kleinste Mengen wirken tödlich, da langsam Organe und Blutkörperchen zerfallen.

Bis heute gibt es kein Gegenmittel. Doch das könnte sich bald ändern: Ulrich Elling vom Wiener Institut für Molekulare Biotechnologie (Imba) hat innerhalb weniger Wochen entdeckt, wonach Wissenschafter seit Jahrzehnten suchen: Er konnte zeigen, wo in der Zelle das Rizin so fatal wirkt. Es ist das Eiweißmolekül mit dem Namen "Gpr107". Die Arbeit erschien am Donnerstag im Fachjournal Cell Stem Cell.

Dabei ist die Methode, derer er sich bediente, mindestens so spektakulär wie der Fund selbst. Elling schuf sogenannte haploide embryonale Stammzellen (ES-Zellen), also solche, die nur über einen einfachen Chromosomensatz verfügen. Solche Zellen stabil zu halten galt bislang als unmöglich. Fast alle Zellen - ob von Mensch oder Tier - verfügen über einen doppelten Chromosomensatz. Lediglich die Keimzellen, also die von Eizelle und Spermien haben nur einen einfachen Satz, da sie sich während der Befruchtung wieder vereinigen.

Durch einen einfachen Trick gelang es nun, ein neues Verfahren zu entwickeln: Die Wissenschafter pflanzen einem Mausweibchen teilungsfähige Eizellen ein, lassen sie dort wachsen und entnehmen schließlich die ES-Zellen. "Eine Geduldsprobe war es, die embryonalen Stammzellen mit dem einfachen Chromosomensatz aus der ganzen Suppe herauszufischen und über längere Zeit am Leben zu erhalten", erklärt Imba-Leiter Josef Penninger.

Tausende Genmutationen

Die Arbeit hat sich gelohnt. Nun lassen sich genetische Funktionen, die bislang nur in jahrelangen Studien untersucht werden konnten, in drei bis vier Wochen analysieren - und zwar ohne die störenden Effekte, die ein doppelter Chromosomensatz mit sich bringt. Mehrere tausend Genmutationen können Wissenschafter in kurzer Zeit herstellen. Genau das tat auch Ulrich Elling, als er die Giftwirkung von Rizin entschlüsselte: Er testete das Gift an tausenden verschiedenen mutierten Maus-Stammzellen und stellte fest, dass Zellen überlebten, in denen Gpr107 verändert war. "Nach unseren Erkenntnissen könnte man nun rasch ein Gegengift entwickeln, indem man Gpr107 blockiert", glaubt Elling.

Doch damit ist das Potenzial der neuen Methode längst nicht erschöpft. Denn die sogenannten haploiden ES-Zellen haben die Fähigkeit, sich in jede beliebige Körperzelle zu verwandeln. Künftig können gezielt Muskel-, Nerven- oder Herzzellen untersucht werden. "Das Verfahren wird sich in wenigen Jahren als neue Screeningmethode etablieren und Gen-Untersuchungen viel effizienter machen", ist sich Josef Penninger sicher.

Eines der nächsten Projekte, an denen Penningers Team bereits arbeitet, beschäftigt sich mit der Entwicklung von Resistenzen gegen Chemotherapien, einem Schlüsselthema bei der Krebsentstehung. (DER STANDARD, Printausgabe, 02.12.2011)