Das abgelaufene Jahr stand ganz im Zeichen der Euro-Schuldenkrise. 2012 hingegen werden die besorgten Blicke von Wirtschaftspolitikern und Ökonomen vor allem auf China gerichtet sein. Der zweitgrößten Volkswirtschaft und dem stärksten Wachstumsmotor der Welt droht heuer eine der schwierigsten Phasen der letzten Jahrzehnte.

Auf der einen Seite schwächt sich das Wachstum ab, weil die Nachfrage in den wichtigsten Exportmärkten nachlässt und die anhaltend hohe Inflation die eigene Wettbewerbsfähigkeit verringert. Auf der anderen Seite droht die gewaltige Immobilienblase, die sich über die vergangenen Jahre aufgebaut hat, jederzeit zu platzen. Und das wiederum gefährdet das Bankensystem, in dem Milliarden fauler Kredite schlummern.

Noch gehen die meisten Beobachter davon aus, dass die erfahrene chinesische Führungselite für eine "weiche Landung", also eine kontrollierte Abschwächung, sorgen wird. Aber der Spielraum für Konjunkturmaßnahmen ist heute viel geringer als bei Ausbruch der Finanzkrise 2008. Und dazu kommt der schwierige Generationswechsel an der Spitze von Partei und Regierung, der erste, der nicht vom Vater der Reformpolitik, Deng Xiaoping, vorausbestimmt worden ist.

Die Unzufriedenheit in weiten Bevölkerungsteilen ist schon gestiegen, als die Wirtschaft noch floriert hat. Ein massiver Wachstumseinbruch würde jenen stillen Sozialvertrag zwischen Partei und Volk bedrohen, unter dem die Chinesen Repression und Korruption als Preis für einen steigenden Lebensstandard hingenommen haben. Eine neue Welle von Protesten und unbarmherziger Repression - und mit dieser wäre sicher zu rechnen - würde auch die Wirtschaft schwer treffen und damit eine Abwärtsspirale in Gang setzen, die auch die innere Stabilität der Großmacht infrage stellt. Ein chinesischer Frühling ist jedenfalls nicht in Sicht.

China ist nicht das einzige Schwellenland, dem stürmische Zeiten bevorstehen. In Indien hat die politische Lähmung in der Kongresspartei und der Regierung ein Ausmaß angenommen, das auch die Dynamik des Privatsektors zu ersticken droht. Auch in Brasilien schwächt sich das Wachstum ab, in der Türkei braut sich neben einer politischen Konfrontation auch eine kleine Finanzkrise zusammen. Und sobald die Weltkonjunktur nachlässt, kommen auch jene Rohstoffpreise ins Rutschen, deren Anstieg viele Staaten in Afrika mit einem starken Wachstum versorgt hat.

Selbst wenn der Abschwung in den Schwellenländern weniger kräftig ausfällt als befürchtet, wird er dennoch die Hoffnung der hochentwickelten Industriestaaten dämpfen, durch externe Wachstumsimpulse der eigenen Rezessionsgefahr zu entkommen. Umso mehr sind die politischen Eliten in Europa und den USA gefordert, die internen Querelen zu überwinden und zu einer konstruktiven Wirtschaftspolitik zurückzukehren. Die Eurozone muss alles tun, damit der Druck der Finanzmärkte auf Italien und Spanien nachlässt und den Erhalt der Gemeinschaftswährung nicht mehr gefährdet. Und in den USA müssen Demokraten und Republikaner einen Grundkonsens für einen Budgetkurs finden, der die Zahlungsfähigkeit des Staates nicht ständig infrage stellt.

Als Konjunkturmotoren für die Welt kann man sich auf China und die anderen großen Schwellenländer noch nicht verlassen. Die Hauptlast bleibt weiter bei den reichen Ländern. (DER STANDARD; Print-Ausgabe, 2.1.2011)