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Kandidatin Nabila al-Anjari, eine von 23 antretenden Frauen.

Foto: Reuters

Über eines können sich die Kuwaiter gewiss nicht beklagen: dass sie selten wählen gehen dürften. Am 2. Februar finden im kleinen, aber reichen Staat am Golf die vierten Parlamentswahlen seit 2006 statt. Um die 50 Parlamentssitze bewerben sich gut 280 Kandidaten, davon 23 Frauen, bei etwa 400.000 registrierten Wählern und Wählerinnen. Die Regierung ist in Kuwait zwar fest in der Hand der herrschenden Al Sabah, aber das kuwaitische Parlament ist dennoch mehr als nur eine Systembehübschung. Es erarbeitet Gesetzesentwürfe und darf Regierungsmitglieder - auch den vom Emir ernannten Premier - befragen. Es ist ohne Frage das aktivste Parlament auf der arabischen Seite des Persischen Golfs, wo - mit der Ausnahme von Bahrain, aber dort ist das System seit dem Aufstand delegitimiert - die Abgeordnetenhäuser nur beratende Funktionen haben.

Im kuwaitischen Parlament hingegen wird gern "gegrillt": Ein Streit über Regierungschef Scheich Nasser, einen Neffen des Emirs, hat letztlich auch zu diesen Neuwahlen geführt. Nasser, seit 2006 im Amt, geriet während des Jahres 2011 immer mehr unter Beschuss. Als dann im November regimetreue Abgeordnete eine geplante Vorladung zur Befragung des Premiers in einem Bestechungsskandal niederstimmten, stürmten andere, angeführt von den Islamisten, das Parlamentsgebäude. Emir Scheich Sabah al-Ahmad al-Sabah setzte dann zwar seinen Neffen doch noch ab - und ersetzte ihn durch Verteidigungsminister Scheich Jaber, natürlich ebenfalls aus der Familie -, löste aber auch das Parlament auf.

Korruption war das große Thema das Wahlkampfs, und sie ist auch ein Problem des Parlaments selbst: So wird etwa eine Gruppe Parlamentarier beschuldigt, gleich hunderte Millionen Dollar ins Ausland verbracht zu haben. Das politische System, zu dem das Verbot von Parteien gehört, begünstigt die Käuflichkeit: Da es keine politischen Koalitionen zwischen Parteien geben kann, sondern die Regierung immer Ad-hoc-Mehrheiten suchen muss, wird die Unterstützung, wenn sie nicht von alleine kommt, auf unterschiedlichste Art gekauft. Deshalb rechnet auch niemand wirklich damit, dass sich mit einem neu gewählten Parlament etwas ändert, auch wenn der früheren Anti-Nasser-Opposition Chancen auf Zugewinn eingeräumt werden.

Bei Wahlen in Kuwait geht es weniger um Ideologien als um "Services" - der Vertreter einer Gruppe, oft eines Stamms, wird ins Parlament geschickt, um seinen Klienten bessere Infrastruktur etc. zu verschaffen. Ein Streit über die Wohlfahrtsstaat-Frage hat am Montag zu einem schweren Zwischenfall im Wahlkampf geführt. Das Headquarter-Zelt eines Kandidaten, Mohammed al-Juwaihel, wurde von Mitgliedern des Mutairi-Stamms niedergebrannt, die später auch eine TV-Station angriffen, die für Juwaihel Werbung machte: Er hatte einige Stämme, darunter die Mutairis, als "keine echten Kuwaiter" - und Schmarotzer - bezeichnet, weil sie durch ihre Herkunft von heutigem saudi-arabischen Territorium eine doppelte Staatsbürgerschaft innehätten und von den sozialen Systemen beider Länder profitierten.

Natürlich hat auch der arabische Frühling in Kuwait seine Spuren hinterlassen. 52 Prozent der Kuwaiter sind unter 20 Jahre alt, 41 Prozent unter 15. Auch in diesem Wahlkampf spielten die sozialen Medien wie etwa Twitter eine große neue Rolle. Die Schicht, die echte soziale Veränderungen im tiefsten Sinne der arabischen Revolutionsbewegungen wünscht, dürfte in Kuwait jedoch noch dünner sein als etwa in Ägypten. Inga Rogg beschreibt in der "Neuen Zürcher Zeitung" etwa einen Jugendaktivisten der im Frühling 2011 gegründeten Gruppe "Die fünfte Mauer", die für den politischen und sozialen Wandel in Kuwait kämpft. Der Kandidat, für den der junge Aktivist Propaganda macht, ist dann aber letztlich sein Onkel. Stammes- und Familienverbindungen hinterfragt auch die Generation Facebook nicht so leicht. Außer der "Fünften Mauer" gibt es noch etliche andere Jugendgruppen, die in Kuwait für "Change", wenngleich nicht für "Regime Change" agitieren - aber auch in Kuwait leiden sie am Phänomen der Aufsplitterung, die in Ägypten zur Marginalisierung der Revolutionsgruppen bei den Parlamentswahlen geführt hat. Aber immerhin, die Saat ist gelegt.

An regionalen Themen liegt die Auseinandersetzung der Golfaraber mit dem Iran wie ein Schatten über der kuwaitischen Innenpolitik, was die Spannungen zwischen Sunniten und Schiiten verstärkt - auch im kuwaitischen Parlament, wo es 2011 auch schon einmal zu Handgreiflichkeiten kam. Kuwait hat eine etwa 30 Prozent starke schiitische Minderheit. Auch das Verhältnis zum befreiten Irak, der jetzt von Schiiten regiert wird, bleibt spannungsbeladen. Die USA, die ihre Truppen Ende 2011 aus dem Irak abgezogen haben, wollen ihre Präsenz in Kuwait weiter verstärken. (derStandard.at, 1.2.2012)