Lieber Migrationshintergrund-Verweigerer,

ich höre mir auch seit Jahren das "Integrationsgerede" der Politiker und Experten an. Manchmal von der Seite, und immer öfter sitze ich auch mittendrin. In einem Punkt sind wir uns einig, lieber Wutbürger: Sie haben alle kein Recht, von mir mehr zu verlangen, nur weil meine Eltern nicht in diesem Land geboren wurden. Menschen aus der Generation meiner Eltern haben als hart arbeitende Gäste in diesem Land mindestens genauso viel geleistet wie eloquente Nachwuchspolitiker und "Integrationsexperten". Wir, ihre Kinder und Enkelkinder, leisten auch unseren Beitrag. Nicht mehr oder weniger als andere in unserer Generation. Dabei kämpfen wir mit den gleichen sozialen Problemen wie der Rest der Gesellschaft. Zusätzlich dazu integrieren wir uns fleißig: Wir balancieren zwischen Identitäten und zwischen den Ansprüchen unserer Eltern und jenen der Mehrheitsgesellschaft; wir kämpfen mit Behörden, mit Vorurteilen und mit offener Diskriminierung.

Für den "Migrationshintergrund" unserer Eltern hat sich damals keiner interessiert. Und seien wir uns ehrlich: In Österreich hat man für diese Menschen jahrzehntelang überhaupt wenig Interesse gezeigt. Sie waren da und sollten bald wieder gehen. Sie blieben aber, und ihre Kinder auch. Das brachte grundsätzliche gesellschaftliche Veränderungen mit sich. Und weil Politik gerne Probleme wälzt – und auf die eigenen Leistungen aufmerksam macht -, benannte man das Problemfeld und ging daran, es zu lösen.

"Mensch mit Migrationshintergrund" ist kein besonders schöner, ein mäßig treffender und ein oft falsch verstandener Begriff. Das Gleiche gilt auch für "Integration". Aber wir brauchen diese Begriffe, um über dieses angebliche Problem eine demokratische Diskussion führen zu können. Wir müssen diesen semantischen Kompromiss eingehen, um kommunizieren zu können, dass wir mit unserem Gegenüber und seinen Ansichten darüber, wie wir das Zusammenleben gestallten sollen, nicht einverstanden sind.

Ich will und kann mich dem "Migrationshintergrund" nicht verweigern. Er ist ein Teil meiner Identität. Ich kann und will auf ihn nicht verzichten, weil ich mit dem Herrn Kurz, Frau Schmied, Herrn Tumpel, Frau Frauenberger, Herrn Hundstorfer und vielen anderen darüber diskutieren will, wie wir in Zukunft vermeiden können, dass Sie wütend werden. Wir müssen darüber diskutieren, ob es notwendig ist, diesen Begriff so zu verwenden, dass sich jene, die er bezeichnet, explizit ausgeschlossen und vor den Kopf gestoßen fühlen. Wir müssen ihn derzeit verwenden, damit wir ihn bald abschaffen können. (Olivera Stajić, daStandard.at, 1.2.2012)