Aus "Nieder mit der Militärherrschaft" ist erstmals "Nieder mit den Muslimbrüdern" geworden. In Ägypten vertieft sich die Kluft zwischen den revolutionären Gruppen und der neuen stärksten politischen Kraft. Die Spaltung wurde Ende November evident, als die Muslimbrüder um pünktlicher Wahlen willen bereit waren, mit dem regierenden Militärrat einen Deal zu schließen. Und nun stellen sich Muslimbrüder den Demonstranten, die eine zivile Regierung verlangen, in den Weg und rufen: "Das Volk und die Armee sind eins."

Die Muslimbrüder wollen sich den Militärs als verlässliche Kraft beweisen, der man eine Regierung und den verfassungsgebenden Prozess anvertrauen kann - von dem sich der militärisch-industrielle Komplex eine Bestätigung seiner Sonderrolle erwartet. Und sie spielen auch mit den Gefühlen vieler Ägypter und Ägypterinnen, die sich nach einem turbulenten Jahr nach Normalität, Sicherheit und einer Beruhigung der wirtschaftlichen Lage sehnen.

Aber das Gedenken an die Revolution vor einem Jahr, die am 25. Jänner begann und am 11. Februar mit dem Sturz Hosni Mubaraks endete, hat etwas gebracht, womit weder Militärs noch Muslimbrüder rechneten: Die revolutionären Kräfte haben sich noch einmal aufgerafft und lassen ihre Landsleute und die Welt wissen, dass ihr Projekt, Ägypten in die politische Moderne zu hieven, nicht abgesagt ist. Es wird eine lange Revolution. (DER STANDARD-Printausgabe, 02.02.2012)