Wir haben junge Muslime eingeladen mit uns über ihren Umgang mit der Religion zu sprechen.

Foto: Yilmaz Gülüm

Manuel und Azra interpretieren ihre Religion für sich anders als das allgemein über Muslime angenommen wird.

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Die 28-jährige Studentin S.K. wollte nicht fotografiert werden.

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Azra arbeitet in Wien im Marketingbereich und tritt in Bosnien als Sängerin auf.

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Für den Studenten Manuel ist der Islam Teil eines Zugehörigkeitsgefühls zur alten Heimat.

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Sie trinken Alkohol, gehen auf Partys, haben oder hatten feste Beziehungen mit Nicht-Muslimen und fasten zu Ramadan, wenn überhaupt, nur eingeschränkt. Trotzdem sind sie Muslime. Für Manuel C. (23) und Azra H. (29) gehört der Islam fest zu ihrer Identität. Die 28-jährige Studentin S.K. wird von außen zwar als Muslima betrachtet, übt den Islam jedoch auf ihre eigene Art und Weise aus und bezeichnet ihn eher als Familientradition.

Manuel und Azra interpretieren ihre Religion für sich anders, als das allgemein über Muslime angenommen wird. Ein schlechtes Gewissen haben sie nicht. Sie verstehen sich weder als "schlechte" noch als "unvollständige" Muslime. Beide stehen zu ihrer Religion. Sie seien stolz darauf, sagen sie. Die praktische Relevanz des Islams spielt in ihrem Alltag allerdings keine besonders große Rolle. Andere Muslime, die ihr ihr Muslimischsein absprechen, nimmt Azra nicht ernst. Ihnen fehle es an Toleranz. "Als echte Gläubige sollten sie nicht über andere urteilen und ihre Auslegung auch akzeptieren", betont sie.

Der Ursprung ihrer Religiosität ist bei Azra und Manuel allerdings sehr unterschiedlich. Für Manuel ist der Islam Teil seiner bosnischen Wurzeln. "Hier sind wir alle Jugos. Aber dort sind wir Bosnier, Serben und Kroaten." Für den Studenten ist der Islam Teil eines Zugehörigkeitsgefühls zu der alten Heimat. Strenggläubig sind allerdings auch seine Eltern nicht – nur seine Mutter kenne sich aus, sagt er. Die wichtigsten Traditionen und Bräuche sind ihm bekannt. Er weiß, wie muslimische Beerdigungen ablaufen und wie er sich dort zu verhalten hat. Auch der Gang zur Moschee nach dem Fastenmonat ist ihm geläufig. Das war es aber auch schon.

"Geschockte Gesichter"

Anders als Manuel hat Azra die Religion nicht von den Eltern mitbekommen. Erst in ihren Jugendjahren hat sie sich für theologische Fragen zu interessieren begonnen und sich mit dem Islam auseinandergesetzt. Sie entspricht nicht dem stereotypisierten Bild einer Muslima: Sie ist blond, trägt kein Kopftuch. Azra arbeitet in Wien im Marketingbereich und tritt in Bosnien als Sängerin auf. In ihren Musikvideos ist sie auch schon einmal freizügiger gekleidet. "Geschockte Gesichter" von Menschen, die erfahren, dass sie Muslime sind, kennen Azra und Manuel zur Genüge.

Wieso führt die banale Tatsache, dass es auch nicht strenggläubige Muslime gibt, zu schockierten Gesichtern? "Verzerrte Bilder in den Medien", sagt Azra. Manuel räumt ein, dass das auch mit Muslimen zu tun habe, die sich schlicht nicht anpassen wollten. Allerdings gebe es auch Druck von Strenggläubigen, die ihren lockeren Umgang mit Religion nicht akzeptieren würden. Die Muslime seien untereinander weit weniger homogen und stimmig, als man das vielleicht glauben wolle.

Von außen, durch die Mehrheitsgesellschaft scheint etwas aufgetragen worden zu sein, das niemand von den DiskussionsteilnehmerInnen erfüllt. Die Selbst- und die Fremdwahrnehmung würden weit auseinanderklaffen. "Es gibt keinen Prototyp vom Moslem", betont S.K. Viele seien unterschiedlich, auch im Vergleich zueinander.
Azra fügt hinzu, dass es verschiedene "Grade" des Glaubens im Islam gebe. Die Strenggläubigen praktizierten den Islam so, wie dieser auch in der medialen Debatte gezeigt werde, dazwischen gebe es aber viele andere, die eher weniger medial behandelt würden – so entstehe ein Bild, das dann für alle Muslime gelte.

"Go for it"

Für Azra und Manuel ist ihre Religion jedenfalls wichtig genug, um sie später einmal an ihre Kinder weiterzugeben. Azra würde für ihre Hochzeit einen muslimischen Mann bevorzugen. Weil sie neben dem Standesamt auch in einer Moschee heiraten will und das einem Nichtmuslim nicht zumuten würde. Strenggläubig dürfe er allerdings nicht sein.
Manuels Freundin ist halb Österreicherin, halb Syrerin und Muslima. Allerdings sei das ein Zufall gewesen, er habe nicht aktiv nach einer muslimischen Freundin gesucht. Für eine spätere Hochzeit kann er sich vorstellen, dass seine Eltern als Schwiegertochter lieber eine muslimische Bosnierin hätten. "Eben eine von 'uns'", sagt er und zeigt die Anführungszeichen. Falls es anders kommt, wäre das aber auch kein großes Problem: "Wenn ich sie liebe, lieben meine Eltern sie auch."

Die Religion weitergeben wollen sie jedenfalls schon. Und wenn die Kinder Schweinefleisch kosten wollen? Oder gar auf den Geschmack kommen? Azra würde ihr Kind zwar im Vorfeld aufklären, aber grundsätzlich zu nichts zwingen. Manuel zuckt mit den Schultern: "Go for it."

Unbekannte Vertreter

Auf die Frage, ob sie sich durch die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ) vertreten fühlen, gibt es ein deutliches Nein – keiner kennt auch nur den Namen des Präsidenten der IGGÖ. S.K. fühlt sich von ihr "absolut nicht vertreten", sie zweifelt an der Sinnhaftigkeit derartiger Organisationen. Sie unterstreicht, dass institutionalisierte Verbände wie die IGGÖ nicht den Anspruch erheben sollten, alle Muslime in Österreich – inklusive der weniger Gläubigen – zu vertreten. Bei Debatten würden dann "komplett falsche Bilder" über alle Muslime transportiert werden, die nur für eine sichtbare Gruppe gelten.

Längst angekommen

S.K. sieht sich in der Integrationsdebatte weniger als "Muslimin", lieber als eine Vertreterin der zweiten Generation, "die schon längst in der österreichischen Gesellschaft angekommen ist – ob es die Mehrheitsgesellschaft will oder nicht". Und natürlich sei sie integriert! Sie verkehrt mehr in österreichischen Kreisen als in orientalischen. Die Lebensform, die der westlichen Welt oder den Österreichern zugeschrieben wird, ist für sie die Art von Lebensweise, die ihr am meisten zusagt. Viele Wiener würden das Multikulti-Thema nicht ernst nehmen, das würde seit Jahren so funktionieren, fährt S.K. fort "Die multikulturelle Welt ist schon längst Teil der österreichischen Gesellschaft."

Daran sei aber nicht nur die aggressive Politik der Rechten schuld, wirft Manuel ein: Bei Schwarzen, Türken oder Muslimen würde die Kriminalerichterstattung deutlich negativer ausfallen, als bei anderen Bevölkerungsgruppen was den 23-Jährigen besonders ärgert, weil er sich dann ausdrücklich als "Migrant" oder "Muslim" angesprochen fühlt. Azra stellt fest, dass das "Temperament" auch die Beziehungen zu autochthonen Österreichern beeinflusst: "Ich kann nicht so sein wie ein Roboter, ich gestikuliere viel mit den Händen, bin lauter", sagt die 29-Jährige.

Auf die Frage, ob sich das Bild der "Migranten" in Zukunft ändern wird, fallen die Meinungen nahezu einstimmig aus: Bis "Normalität" einkehrt, wird auch die kommende Generation viele Fremdzuschreibungen und Vorurteile hinnehmen müssen. Die Selbstwahrnehmung ist allerdings eine andere Geschichte: S.K. führt das Beispiel ihrer Neffen und Nichten an. Sie würden nur Deutsch sprechen und sich auch wenig für die Religion interessieren. "Ihre Identität ist größtenteils österreichisch." (Yilmaz Gülüm, Toumaj Khakpour, Olivera Stajić, daStandard.at, 1.2.2012)