Aus der Rezeption der RTL-Show Ich bin ein Star - Holt mich hier raus! lässt sich im Lauf der Jahre eine interessante Entwicklung ablesen. Die zu Beginn ziemlich einhellige Erkenntnis, wonach das Zeigen von Menschen, die in Gülle getaucht und wechselweise mit Maden, Käfern oder Spinnen übergossen bzw. zum Verzehr selbiger Tiere oder diverser Genitalien animalischen Ursprungs angehalten werden, nicht unbedingt zu den Sternstunden der Television gehört, wurde von einer abgeklärten Betrachtungsweise abgelöst, in der die beschriebenen Aktivitäten als "Comedy" oder gar "große Oper" bewertet werden, aus denen man sogar etwas lernen könne: Solange sie damit ins Fernsehen kommen, seien Menschen nun mal bereit, bei den ärgsten Grauslichkeiten mitzumachen.

Eine These, deren Richtigkeit dieser Tag vor dem Wiener Handelsgericht scheinbar infrage gestellt wurde. Zwei Polizisten der Wega hatten dort eine Klage eingebracht, weil sie bei der Abschiebung einer Familie gefilmt worden waren. Dies sei in ihren Augen unzulässig, da "es unsere Dienstpflicht ist, auch Amtshandlungen durchzuführen, die bei einem erheblichen Teil der Bevölkerung als inhuman und inakzeptabel angesehen werden."

Eine bemerkenswerte Aufwallung von Schamgefühl, die sich darüber hinaus einer auf einschlägigen Leserbriefseiten als "Gutmenschen-Sprache" verhöhnten Argumentationsrhetorik bedient. Doch in der Klageschrift kommt es noch überraschender: "Ein besonders erschwerender Aspekt der negativen, emotionalen Wirkung ist darin gelegen, dass es sich um ein schwerbehindertes Kind handelt, wie es im Video deutlich zu sehen war."

Das ist nun nicht bloß Ausdruck des schlechten Gewissens, sondern fast ein Geständnis. Die Abschiebung war nämlich deshalb von der Bezirkshauptmannschaft Baden veranlasst worden, weil es sich laut Behörde bei der sechsjährigen Tochter der Familie um kein schwerbehindertes Kind gehandelt habe. Die Unrichtigkeit dieser Annahme wurde also von den beiden Polizisten vor Ort erkannt, was die beiden jedoch nicht daran hinderte, die Amtshandlung fortzusetzen.

Das wiederum lässt die Motivation ihrer Klage in einem neuen Licht erscheinen. Mindestens so groß, wie der Aspekt des Sich-Genierens dürfte eine sehr pragmatische Überlegung sein: Wenn ich als Polizist schon an gesetzlich nicht gedeckten Handlungen mitwirke, dann möchte ich wenigstens das Recht haben, jeden, der mich dabei filmt, zu klagen.

Ein kühnes Ansinnen, bei dem sie zwar von der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst unterstützt werden, aber echte Konsequenz vermissen lassen. Geklagt wurde nämlich nicht der ORF, der das betreffende Video ausgestrahlt hat, sondern Purple Sheep, ein Verein zur Förderung und Einhaltung der Rechte von Asylwerbern, bei dem der Filmer des Videos Mitglied ist.

Dass die Kläger auf dem Video laut erstgerichtlichem Urteil "nicht identifizierbar sind", treibt die Skurrilität ihrer Klagebegründung endgültig auf die Spitze. Aber vielleicht geht es ihnen ja gar nicht um das Ausloten von Schamgrenzen. Von den Anus-Essern und Madentauchern im "Dschungelcamp" wird schließlich Ähnliches vermutet. (DER STANDARD; Printausgabe, 2.2.2012)