"Die Unterschiede muss man benennen, sonst kann man nicht herausfinden, welche Bedürfnisse die Schüler haben."

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"Im Bildungsdiskurs werden Probleme oft auf die Kultur zurückgeführt. Soziale Ungleichheiten werden dagegen ignoriert": Mikael Luciak.

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"Probleme werden häufig kulturalisiert": Dieser einfache Gedanke sollte in der Schul- wie auch in der Integrationsdebatte viel häufiger zu hören sein. So einleuchtend und plausibel er auch klingen mag, er scheint sich noch nicht ausreichend herumgesprochen zu haben, der Kulturlastigkeit der Integrationsdebatte nach zu urteilen.

Voneinander profitieren

"Im Bildungsdiskurs werden Probleme oft auf die Kultur zurückgeführt. Soziale Ungleichheiten werden dagegen ignoriert", erklärte der Wiener Bildungswissenschaftler Mikael Luciak bei seinem Vortrag im Rahmen der Diversitäts-Konferenz von Kulturkontakt Austria am 28. Februar in Wien. Unter anderem wies er auf unterschiedliche Konzepte von Diversität hin, die jeweils greifen, je nachdem ob es sich um Migration in einer globalisierten Welt handelt oder um ansässige Minderheiten, die, so Luciak, in der aktuellen Diversitätsdebatte meistens untergingen.

Zwar sei es prinzipiell zu begrüßen, wenn Kinder gemeinsam die Schulbank drücken, egal ob und über welchen Migrations- oder sonstigen Hintergrund sie verfügten. Dennoch müsse man mit Etikettierungen wie "Diversität" und "Inklusion" auch vorsichtig sein, sagte Luciak: "Es gibt Schulen, in denen 90 Prozent der Kinder Migrationshintergrund haben und behinderte Kinder gemeinsam mit nichtbehinderten Kindern unterrichtet werden. Einerseits ist das gut. Andererseits kann es sein, dass das schulische Niveau schlecht ist, dass die Qualität des Unterrichts unzureichend ist. Eine Schule mag von außen inklusiv aussehen, aber man muss sich immer fragen, wie die Praxis konkret aussieht, ob die Kinder hier voneinander profitieren können oder ob sie in einer anderen Konstellation besser aufgehoben wären."

Unterschiede benennen

Es bringe nichts, bei heterogenen Klassen nur auf den Gedanken der Inklusion zu pochen, so Luciak: "Die Unterschiede muss man benennen, sonst kann man nicht herausfinden, welche Bedürfnisse die Schüler haben."

Regelrecht "schockierend" sind laut dem Bildungswissenschaftler die mittel- und langfristigen Tendenzen in Europa, Bildung eng mit der Berufsausbildung zu verknüpfen und den Bildungsprozess auf die Vorbereitung auf den Arbeitsmarkt zu reduzieren: "Kritisches und autonomes Denken ist da gar nicht mehr vorgesehen."

"Alle sind schon da"

Mit dem Einfluss der Familie auf den Lernerfolg von Schülern hat sich eine weitere Rednerin beschäftigt, Anne Sliwka von der Universität Heidelberg. Sie berichtete, dass in manchen Ländern wie Finnland, Japan und Kanada der Zusammenhang zwischen Familiensituation und Schulerfolg wesentlich geringer sei als etwa in Deutschland und Österreich. Sliwka führte das auf einen gesellschaftlichen Paradigmenwechsel zurück, der sich auf die Zusammensetzung von Schulklassen direkt auswirke: von Homogenität über Heterogenität bis hin zur Diversität.

Unter dem Schlagwort "Heterogenität" würde man Unterschiede als ein Problem oder bestenfalls als eine Herausforderung ansehen und versuchen, Integration zu betreiben, also möglichst viele Schüler sozusagen in die Mitte zu holen. In der Phase der "Diversität" hingegen "muss niemand mehr integriert oder hereingeholt werden", erklärte Sliwka, "denn alle sind schon da. Diversität bedeutet, dass man Unterschiede als Ressource, als Vorteil oder als eine Möglichkeit betrachtet." Ziel ist die Inklusion, dass also niemand ausgeschlossen wird.

Mit den Kindern sprechen

Aus den Erfahrungen mit dem kanadischen Schulsystem hat die Forscherin etwas Wichtiges gelernt: "Man darf nicht nur mit den Eltern über die Kinder reden, sondern muss auch mit den Kindern selbst sprechen. Die Kinder sollen sich kompetent fühlen und lernen, ihren Schulerfolg selbst zu regulieren."

Aktiv würde man in kanadischen Schulen versuchen, bei den Eltern ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass der Alltag in den Familien den Zugang zum Lernen wesentlich prägt: "Wenn man dem Kind immer wieder sagt, deine Großmutter hatte schon kein Talent für Mathematik und deine Mutter auch nicht, dann ist das keine gute Botschaft für ein Kind. Es gibt Familien, in denen Ehrgeiz einfach nicht gefördert wird. Da sollte die Schule entgegenwirken, damit die Kinder einen Bildungshunger entwickeln können."

Serbien: Lehrer als unangefochtene Autorität

Der serbische Redner, Predrag Lažetić vom Belgrader Zentrum für Bildungspolitik, berichtete von den Schwierigkeiten in serbischen Schulen, mit den Eltern enger zusammenzuarbeiten: "Die Eltern glauben an die Autorität der Lehrer und stellen diese nicht in Frage. Die Lehrer wiederum verwehren sich gegen so viel Verantwortung und weisen Kompetenzen von sich."

Işık Tüzün von der Education Reform Initiative (ERI) an der Sabancı-Universität in Istanbul berichtete von nationalistischer Rhetorik in der polarisierten Schuldebatte in der Türkei, die den kurdischen Kindern einen selbstbewussten Umgang mit der eigenen Zweisprachigkeit verunmögliche: "Die kurdische Sprache müsste in der türkischen Gesellschaft aufgewertet werden. Im Moment wird viel zu wenig darauf geachtet, was für das Kind gut ist."

Wie auch immer die Schule der Zukunft aussehen mag, eines steht außer Zweifel: Die Kinder werden trotzdem lernen - so wie es zu allen Zeiten war. Die Frage ist aber, ob die Schule den gesellschaftlichen Trends hinterherhinken oder diese vorgeben und mitgestalten wird. (daStandard.at, 1.3.2012)