In seinem Buch "Nicht schuldig" stellt Jens Söring seine Sicht der Vorgänge im März 1985 dar. Er habe den Doppelmord gestanden, um seine damalige Freundin zu schützen.

Foto: Droemer Knaur

Es war am 31. März 1985, nachts, als Liz H. völlig aufgelöst zu Jens Söring zurückkehrt, leichenblass, mit Blut an den Armen. "Ich habe meine Eltern umgebracht", gesteht sie ihrem Freund. "Aber ich war das nicht, das waren die Drogen."

Jens müsse helfen, fleht sie, sonst werde sie hingerichtet. Er denkt sich eine Geschichte aus, in der er der Mörder ist und sie die Komplizin. Er glaubt, dass er diplomatische Immunität genießt. Sein Vater arbeitet als deutscher Vizekonsul in Detroit. Nimmt er die Schuld auf sich, denkt der 18-Jährige, wird er nach Deutschland abgeschoben, und dort "kriege ich nicht mehr als zehn Jahre".

Obama als Hoffnung

So jedenfalls erzählt es Söring in Nicht schuldig, seinem am Donnerstag erschienenen Buch. Seit 22 Jahren sitzt er in Virginia hinter Gittern, seit 2009 im Buckingham Correctional Center in den Ausläufern der Appalachen. Nachdem Barack Obama zum Präsidenten gewählt worden war, schien sich ein Hoffnungsschimmer abzuzeichnen. Virginias damaliger Gouverneur Tim Kaine, ein enger Vertrauter Obamas, gab grünes Licht für die Überstellung Sörings nach Deutschland. Dann aber machte die Law-and-order-Fraktion einen Strich durch die Rechnung. "Kaine und Söring sollten beide getoastet werden", zitiert der Häftling aus dem Leserbrief einer Zeitung.

Das Parlament Virginias protestierte, in Washington bekam der Justizminister kalte Füße. Schließlich widerrief Robert McDonnell, Kaines konservativer Nachfolger, was sein Vorgänger zugesagt hatte. Im Herbst will Kaine für den Sitz eines US-Senators kandidieren. Sein wahrscheinlicher Rivale, Republikaner George Allen, gedenkt die "Schwäche" des Demokraten im Fall Söring zu thematisieren. Er sei zum Spielball geworden, bilanziert der Deutsche. Sein "Image als Ungeheuer" habe es politisch unmöglich gemacht, ihn nach Hause zu schicken. Das Buch soll helfen, dies zu ändern. 

Mord im März 1985

Söring lernte Liz H. 1984 an der Uni Virginia kennen. Sie ist zwei Jahre älter, kennt sich mit Drogen aus und fasziniert den strebsamen, braven Diplomatenspross. Ende März 1985, bei einem Ausflug nach Washington, erzählt sie ihm von Kurierdiensten für einen Drogenhändler, der sie erpresse. Am Abend diese Tages werden Elizabeths Eltern in ihrem Haus die Kehlen durchgeschnitten.

Ein paar Monate nach der Tat, nach den ersten Verhören, beschließen die beiden zu fliehen, schließlich werden sie in London wegen Scheckbetrugs verhaftet. Im Juni 1986 gesteht Söring. Er wird nach Virginia gebracht, wo der Staatsanwalt zugesichert hatte, auf die Beantragung der Todesstrafe zu verzichten - sonst wäre die Auslieferung gescheitert. 

Neue DNA-Spuren aufgetaucht

Der Prozess 1990 wird zum Medienspektakel, einer der ersten, die das Kabelfernsehen live überträgt. Inzwischen sind neue Beweise aufgetaucht. Nachträglich untersuchte DNA-Spuren lassen auf das Blut eines anderen Täters schließen, auch wenn sie nicht zugeordnet werden konnten. Ein Werkstattbesitzer hat ausgesagt, kurz nach dem Verbrechen ein Auto mit Blutspuren repariert zu haben. Liz H. sei in Begleitung eines anderen Mannes gewesen. Söring sieht sich als Oper einer Verschwörung angesehener Kreise. (Frank Herrmann aus Washington, DER STANDARD; Printausgabe, 2.3.2012)