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Gleich befreit sie sich: Magdalena Kozena (als Carmen) und Jonas Kaufmann (als Don José).

Foto: APA/Barbara Gindl

Salzburg - Der Applaus war von so viel freundlicher Milde durchdrungen, dass man sicher war, all diese Begeisterten würden kommendes Osterjahr nach Baden-Baden pilgern, um den Berliner Philharmonikern an ihrer neuen Festivalstätte wiederzubegegnen. Von einer gewissen Gekränktheit darüber, dass sich jenes Orchester, mit dem Karajan einst diese Osterfestspiele begründet hatte, absentiert, jedenfalls keine Spur:

Nach dem Applaus zu urteilen, würde es 2013, wenn Christian Thielemann mit den Dresdnern Salzburgs Ostern übernimmt, reichlich Plätze für neue Gäste geben. Wobei: Vielleicht war auch nur Carmen schuld an der festlichen Laune. Bei diesem hitprallen Blockbuster muss man schon sehr viel falsch machen, um nicht zu beglücken.

Und wirklich verhaut wurde ja auch nichts. Regisseurin Aletta Collins siedelt die Geschichte einer verhängnisvollen Besessenheit in den 1930er-Jahren an (wohl zur Zeit des Spanische Bürgerkriegs). Soldaten machen sich in einer Tschickfabrik breit (Bühnenbild: Miriam Buether), in der Carmen und Don José einander begegnen, nachdem sie mit einem Aufzug herabkam, in dem sie mit einem anderen intim zur Sache ging.

Der erste Blick zwischen den Hauptturteltauben, ein Moment gegenseitiger Hypnose, ist dann einer jener gelungenen, da szenische und orchestrale Intensität subtil verschmelzen. Solcherlei Gleichzeitigkeit hätte man ruhig stärker ins Angebot nehmen dürfen. Während auf der Bühne jedoch ein tanzverliebter Hang zu revueartiger Opulenz vorherrschte, bemühte sich Dirigent Simon Rattle um sentimentfreie Kammermusik. Gegen Letzteres ist nichts zu sagen. Einmal eine von stampfenden Wunschkonzertderbheiten befreite, klangsensitive Variante zu hören, macht Sinn und war punktuell auch möglich.

Allerdings arbeitete man im Orchestergraben an der Quadratur des Opernkreises: da die Sänger nicht zudecken, aber doch Impulse verleihen, dort sich gegen eine bisweilen derb-laute Inszenierung behaupten, ohne selbst in Derbheit zu verfallen. Und all dies, in einem akustisch heiklen Ambiente wie dem Festspielhaus, war ein bisschen viel der Aufgaben. Wenn ein grandioses Orchester quasi klingt wie eine allzu leise, stilisierte Flamenco-Gitarre, dann stimmt jedenfalls die Balance zwischen ästhetischem Wunsch und Bühnenpragmatik nicht. Und: Ein Klangkörper sollte nicht wirken, als würde er an seinem eigenen Verschwinden arbeiten.

Immerhin ein fast durchgehend gutes Gesamtensemble, wobei: Jonas Kaufmann (Don José) ist ein Wunder an so samtiger wie vital umgesetzter Liebespein. Und Genia Kühmeier (Micaëla) demonstriert ihre herausragende Stellung als einer der edlen Soprane. Im Vergleich dazu wirkte Magdalene Kozena (Carmen) allerdings nur passabel, besonders in der Vokaltiefe fehlte Eindringlichkeit.

Von Pose zu Pose

Vielleicht wäre mehr möglich gewesen, hätte die Regie Kozena nicht einen beschwerenden Rucksack voll von erotischen Klischeeposen umgehängt. So hüpfte die Frau des Dirigenten unsouverän von einer breitbeing-deftigen Stellung zur nächsten. Verständlich, dass bei so viel Gymnastik wenig Kraft blieb, die Figur aus dem Plakativen zu holen. Carmen, ein ungehobelt-wildes Mädchen. Na ja.

Ihrem Ende geht diese platte Verführerin jedoch frei von Aufgesetztheit entgegen; fast unbeschwert wirkt sie in Erwartung neuer Abenteuer (solide Kostas Smoriginas als Escamillo). Leider kommt Don Josés Messer dazwischen. Und leider reicht auch zum Finale der vokale Carmen-Charme nicht aus, um Besonderes herbeizuführen. Ein respektabler Berliner Abschied aus Salzburg, dank, das muss gesagt sein, des Traumpaares Kaufmann/Kühmeier. (Ljubisa Tosic/DER STANDARD, 2.4. 2012)