Bild nicht mehr verfügbar.

Nachdem die Daten von vier Weltraumteleskopen verknüpft wurden, entstand dieses Bild der ältesten dokumentierten Supernova RCW 86. Ob eine Sternenexplosion wie diese für die kosmische Strahlung verantwortlich ist, wurde bisher nicht vollständig geklärt.

Foto: REUTERS/NASA/ESA/JPL-Caltech/UCLA/CXC/SAO

Heinrich Völk: "Neben den ganz offensichtlichen Dingen, etwa Armutsbekämpfung, muss auch Platz sein für Forschung."

Foto:MPG

STANDARD: Vor hundert Jahren flog der österreichische Physiker Victor Franz Hess mit einem Ballon auf über 5000 Meter Höhe, um die kosmische Strahlung nachzuweisen. Wenn Sie wie er keine andere Chance hätten, um einen Nachweis für Ihre Forschung zu bringen, würden Sie auch ein derartig waghalsiges Experiment durchführen?

Völk: Ich bin Bergsteiger, habe auch verrückte Sachen gemacht, aber das war schon sehr mutig. Deswegen habe ich größten Respekt vor Hess. Ich bewundere ihn, weil er nicht nur mit intelligentem Nachdenken oder Basteln im Labor versuchte, zum Ziel zu kommen, sondern auch diese sehr abenteuerliche Form der Forschung wählte. Er wusste natürlich, dass er keine andere Chance hatte, die Strahlung nachzuweisen. Damals hatte man ja wenige technische Möglichkeiten, weshalb die heutige Situation eigentlich nicht damit vergleichbar ist.

STANDARD: Trotz des technischen Fortschritts weiß man bis heute nicht hundertprozentig, woher die kosmische Strahlung kommt. Warum?

Völk: Man nimmt an, dass Sternexplosionen, also Supernovae, im niederenergetischen Bereich verantwortlich sind. Ich glaube das auch. Und es gibt kaum jemanden, der das nicht glaubt. Das Problem dabei ist: Es gab schon Fälle, bei denen nicht eindeutig festgestellt werden konnte, dass die Gamma-Quanten, die man auf der Erde misst, aufgrund der Supernovae entstehen, sondern möglicherweise von hochenergetischen Elektronen erzeugt werden.

STANDARD: Könnte die kosmische Strahlung nicht genauso gut zwei Ursachen haben?

Völk: Ja, natürlich. Genau genommen weiß man nicht einmal, ob nicht mehr Elektronen diese kosmische Strahlung verursachen als Sternexplosionen. Das sage ich gegen meine eigene Überzeugung. Es ist wie so oft in der Naturforschung: Wir haben eine Vorstellung, ein Bild, das überzeugend, aber noch kein schlüssiger Beweis ist. Es wird auch schwierig sein, diesen zu erbringen, denn es handelt sich hier um natürliche Phänomene, die ich nicht in einem Experiment nachstellen kann, sondern um Phänomene, die ich beobachte und interpretiere. Es gab schon Fälle, da waren einige Wissenschafter einer Meinung und ein paar andere nicht. Am Ende war die andere Meinung von der Bildfläche verschwunden, weil niemand mehr lebte, der sie hätte vertreten können. Das haben wir hier nicht: Die überwältigende Mehrheit der Wissenschafter, die über kosmische Strahlung nachdenken, glaubt an die Ursache Supernova.

STANDARD: Kann man mit den derzeit gebräuchlichen Teleskopen die Frage klären, oder braucht es dabei Weiterentwicklungen?

Völk: Wenn man die Winkel- und die Energieauflösung der Teleskope erhöhen könnte, würde man gewiss sehr bald an den Punkt kommen, an dem man dann sagen wird: Die Frage ist geklärt. Wir sind also sehr nahe daran zu wissen, was die Ursache der kosmischen Strahlung in diesem niederenergetischen Bereich ist, von dem ich gesprochen habe. Ob das im Rahmen des H.E.S.S.-Experiments in Namibia gelingt, ist aus meiner Sicht fraglich. Die Forscher haben hier viele Ziele, und es gibt viele Quellen von Gamma-Strahlen, die nicht mit Supernovae zusammenhängen, aber auch gleichzeitig untersucht werden. Mein Interesse am Experiment ist es, Evidenzen zu sammeln, um die Frage, woher die kosmische Strahlung kommt, eindeutig zu klären. Das steht für mich im Vordergrund.

STANDARD: Verfolgt man in anderen Observatorien ähnliche Ziele?

Völk: Ein weiteres Großprojekt, das Cherenkov Telescope Array, wird als Erweiterung des Konzepts der H.E.S.S.-Teleskope gebaut. Hier sind sehr viel mehr und größere Teleskope geplant. Das kostet das Zehnfache. Aber auch dabei kann man sich nicht sicher sein, ob der eindeutige Beweis gelingt.

STANDARD: Es gibt mittlerweile viele derartig große physikalische Experimente, die Fragen der Grundlagenforschung klären sollen und viel Geld verschlingen. Müssen Sie sich als Physiker die Frage gefallen lassen: Wozu das alles?

Völk: Nein, solche Fragen werden selten gestellt. Weil die Gamma-Astronomie im Vergleich ein preiswertes Verfahren ist, das trotzdem wesentliche neue Ergebnisse gebracht hat. Das H.E.S.S. -Experiment hat etwa zehn Millionen Euro gekostet. Das ist ein Zehntel des Preises, der für die Observatorien der Europäischen Südsternwarte ESO in Chile bezahlt wurde. Diese Fragen nach dem Sinn von teurer Forschung werden in der Weltraumforschung gestellt. Das betrifft aber nicht nur die bemannte Raumfahrt, die Nasa hat sich auch aus der fundamentalen Gravitationswellenforschung zurückgezogen - aus finanziellen Gründen. Einen ähnlichen Rechtfertigungsdruck hat wohl auch das Cern durch den Teilchenbeschleuniger. Es ist für viele Menschen sicher schwierig, sich vorzustellen, dass es eine Maschine geben muss, die mehrere Milliarden kostet und den Zustand der Welt nach dem Urknall experimentell nachstellen kann.

STANDARD: Wie kann man angesichts der Finanzkrise und der hohen Kosten für Experimente einer immer wieder auftretenden Wissenschaftsfeindlichkeit begegnen?

Völk: Die Frage ist doch eine ganz grundsätzliche: Welche Haltung hat die Gesellschaft? Wir müssen uns überlegen, welche Ziele wir verfolgen wollen. Ein Ziel ist sicher die Sozialpolitik, an der mir persönlich viel liegt. Aber neben den ganz offensichtlichen Dingen, zum Beispiel Armutsbekämpfung in Afrika, muss auch Platz sein für Ideen, die die Gesellschaft in einer anderen Weise voranbringen. Natürlich sollte auch die Kostenrelation passen, Ich glaube, die Mehrheit fragt nicht: Wozu? Sie sagt: Wir brauchen Wissenschaft als intellektuelles Abenteuer, aber auch als Grundlage für technologische Entwicklung. Man braucht nur an die Energiefrage zu denken. Da kommt doch vieles aus der Grundlagenforschung. (Peter Illetschko, DER STANDARD, 02.05.2012)