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"Zukunft", ein zentraler Slogan in der Kampagne von Boris Tadic. 

Foto: Reuters/Djurica

"Ich werde einen weißen Stimmzettel abgeben", sagt Srbijanka Turajlic. "Eine Partei in Serbien zu wählen hieße, ihr einen Persilschein für noch mehr Korruption und den Abbau demokratischer Institutionen zu geben." Mit ihrem Statement löste die prominente Kämpferin für Demokratie und emeritierte Uni-Professorin eine heftige Debatte aus.

Vor allem bürgerlich und europäisch orientierte Wähler sind enttäuscht von der sozialen Misere und dem sinkenden Lebensstandard. Zwölf Jahre nach der demokratischen Wende herrsche in Serbien ein "partitokratisches System", sagt Turajlic: Alles werde Parteiinteressen untergeordnet, das Parlament habe sich in einen Raum für "Händchenheben" verwandelt. Meinungsumfragen zeigen, dass die Bürger das Vertrauen in Politiker und staatliche Institutionen verloren haben.

Vor allem die regierende Demokratische Partei (DS) hat die Wahlabstinenz ihrer Wähler zu fürchten. Ihr Vorsitzender Boris Tadic trat als Staatspräsident neun Monate vor dem Ende seiner Amtszeit zurück, um zu ermöglichen, dass die Präsidentschaftswahlen gleichzeitig mit Parlaments- und Kommunalwahlen stattfinden können. Prompt reden Kritiker von einer "Verhöhnung des höchsten Staatsamtes aus Parteiinteressen".

Neue Wahlstrategie nötig

Vor vier Jahren konnte Tadic die Wahlen auf ein schicksalhaftes "Ja oder Nein zu Europa" zuspitzen. Damals stand der DS die ultranationalistische Serbische Radikale Partei (SRS) mit ihrem für Kriegsverbrechen vom UN-Tribunal angeklagten Führer Vojislav Šešelj gegenüber. Europa atmete auf, als Tadic gewann.

Heute kann diese Taktik nicht mehr aufgehen. Die SRS hat sich gespalten, unter der Führung von Tomislav Nikolic entstand die Serbische Fortschrittspartei (SNS). Über Nacht änderte Nikolic den Kurs, setzte sich für den Beitritt Serbiens zur EU ein, gab sich moderat und überholte in Umfragen die konsequent europafreudige DS.

Das Programm der SNS unterscheidet sich kaum von dem der DS. Nikolic hat gute Chancen, Tadic in der Stichwahl zu schlagen.

"Glaubt denen ja nicht", warnt Tadic, dessen Partei Nikolic massiv attackiert. Werbespots zeigen, wie Nikolic früher gegen Europa wetterte, sich heute aber für die EU einsetzt; wie er von Krimi nellen umgeben ist; dass er sein Uni-Diplom gefälscht haben soll. "Spielt nicht mit eurer europäischen Zukunft", richtet man den Wählern aus. "Schenkt euer Vertrauen jenen, die schon immer für eine europäische Zukunft Serbiens waren."

"Serbien geht in Korruption unter", entgegnet Nikolic und verspricht "ein ehrliches, sauberes" Land.

Allgemein dreht sich der Wahlkampf populistisch um soziale Themen. Alle 18 Parteien und Bündnisse und zwölf Präsidentenkandidaten versprechen einen Kampf gegen Korruption und für neue Jobs, Auslandsinvestitionen und einen besseren Lebensstandard. Manche neigen dabei mehr zu Russland, die meisten zur EU.

Der Kosovo wird kaum erwähnt, außer von der SRS und der De mokratischen Partei Serbiens (DSS) von Expremier Vojislav Koštunica, die gegen die EU ist.

Die großen Parteien DS und SNS haben am 6. Mai keine Chance auf eine "Absolute", sie werden Partner für eine Koalition brauchen. Doch wer auch immer an die Macht kommen wird: Ein Reformwille ist nicht zu erkennen. (Andrej Ivanji aus Belgrad, DER STANDARD, 2.5.2012)