Ausflug mit Koltès in die Wiener Wirklichkeit: Peter Wolf als Monlogkünstler mit Schrammen im Gesicht.

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Wien - Das mit dem sommerlichen Wetter hat so seine Vor- und Nachteile. Zumindest wenn Bernard Marie Koltès' Monolog Die Nacht kurz vor den Wäldern ein möglichst authentisches Freiluftsetting verpasst werden soll. Speit sich darin doch ein Outcast, der nach einem vor dem Regen schützenden Unterschlupf sucht, über die dunkle Stadt und die darin hausenden Menschen aus. Wie Hohn wirkt es da, wenn die Sonne über der herausgeputzten Josefstadt lacht, während der Namenlose seine Suada gen Himmel schleudert. Für das Publikum ist es freilich komfortabler.

Die auf außergewöhnliche Spielorte spezialisierten Theatermacher von " wenn es soweit ist" - im Vorjahr wurden sie für ihr im Kunsthistorischen Museum realisiertes Projekt Ganymed Boarding mit dem Nestroy-Preis ausgezeichnet - stecken die Zuseher diesmal in einen Container, dem eine Wand amputiert wurde. Der aus dem Inneren sichtbare Stadtraum wird gänzlich Bühne, Passanten sind zugleich Beobachter und Beobachtete. Doch auch für das zahlende Publikum verändert sich in diesem umgekehrten Guckkasten die Situation, ein Gefühl des Ausgestellt-Seins ist unvermeidlich. Noch ehe Peter Wolf in ausgeleierter Kleidung und mit leicht verschrammtem Gesicht seinen Sermon begonnen hat, ist der Blick auf den öffentlichen Raum bereits ein anderer. Wenn später Kinder im Hintergrund mit Wasserpistolen spielen oder ein jugendliches Paar Walzerschritte übt, wirkt dieses Szenario schon zu gut, um wahr zu sein. Als Bühne dieses Stadtgeschehens dient zunächst der Jodok-Fink-Platz, die letzten Aufführungen folgen beim Siemens-Nixdorf-Steg am Donaukanal.

Unabhängig von der Wahl des Ortes macht allein Wolfs Darstellung des Wütenden den Abend zu einem besonderen Ereignis. Ob er mit dem Finger beiläufig über die Containerwand streicht oder sich theatralisch zu Boden wirft - jede der wechselnden Gemütsverfassungen seiner Figur fließt mit überzeugender Geschmeidigkeit in die nächste. Zugleich merkt man natürlich, dass hier Theater gespielt wird. Schon der Text des 1989 mit 41 Jahren an den Folgen von Aids verstorbenen Offizierssohns Koltès läuft nie Gefahr, zu naturalistisch zu wirken.

Der Monolog, den Regisseurin Jacqueline Kornmüller bereits vor sieben Jahren mit Peter Wolf in Stuttgart inszeniert hatte, ist so konstruiert wie spröde. Kurz entblößt der Unbekannte Teile seiner Seele, um andere wieder zu verschütten. Er faselt von einem internationalen Syndikat, schimpft auf Mütter und Huren, macht seinem Zuhörer Avancen und verwehrt sich zugleich dagegen, als Schwuler bezeichnet zu werden. Konstant erscheint letztlich nur sein Wunsch nach Ruhe. Damit hat er sich, solange das Stück über unsere Welt noch etwas zu sagen hat, vielleicht das fernste aller Ziele ausgesucht. (Dorian Waller, DER STANDARD, 2.5.2012)