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Die Toterklärung des Vorherigen als Fanal des filmischen Neubeginns: Alexander Kluge (li.) während der Pressekonferenz zum Oberhausener Manifest 1962. Foto: Archiv der Kurzfilmtage

Foto: Archiv der Kurzfilmtage

Eine demnächst auch in Wien zu sehende Retrospektive klärt die Bedeutung des Oberhausener Manifests.

Was einer breiten, am Film nicht mehr als an anderen Künsten interessierten Öffentlichkeit vom Oberhausener Manifest in Erinnerung geblieben ist, sind das Gefühl des Aufbruchs und eine Handvoll Namen. Am 28. Februar 1962 präsentierten 26 Filmemacher - darunter Regisseure wie Alexander Kluge, Edgar Reitz und Peter Schamoni sowie Produzenten, Kameramänner und der Schauspieler Christian Doermer - während einer Pressekonferenz bei den Oberhausener Kurzfilmtagen ihre Vorstellung von der Zukunft des deutschen Films.

Frei von ökonomischen Zwängen sollte dieser sein, eine neue Sprache sollte er sprechen, sich jeder Form von Kommerzialisierung widersetzen. Denn, und damit endete die als Oberhausener Manifest in die Filmgeschichte eingegangene Erklärung: "Der alte Film ist tot. Wir glauben an den neuen."

Es war die Zeit des großen Umbruchs, auch im Kino. In Italien hatte der Neorealismus bereits die Türen geöffnet, damit in Frankreich wenige Jahre später Jean-Luc Godard und François Truffaut mit aller Vehemenz ihr politisches Kino der Nouvelle Vague umsetzen konnten. In Deutschland gingen die Uhren langsamer, hier gab ein überwiegend aus Heimatfilmen und harmlosen Lustspielen bestehendes Nachkriegskino den Ton an. Diesem Kino sagten die "Oberhausener" den Kampf an.

50 Jahre und mindestens zwei Generationen später geht es in Oberhausen anlässlich des breit aufbereiteten Jubiläums um Diskurs und Differenzierung. Es habe damals eben keine über das Manifest hinausreichende Zusammenarbeit gegeben, konstatiert ernüchtert Regisseur Bernhard Dörries, dessen Schicksal einer Oper (1958) in jener Programmreihe zu sehen ist, die den Arbeiten der Unterzeichner vorbehalten ist und die bezeichnenderweise in einem ehemaligen Industriegelände läuft.

Dörries filmte in den Ruinen des im Krieg zerstörten Münchner Opernhauses, und wenn die Kamera langsam durch die zerfallenen Säulenhallen gleitet, meint man, noch heute den Gesang aus der Vergangenheit nachklingen zu hören. Und tatsächlich haftet Schicksal einer Oper etwas Museales an. Denn während es für Regisseure wie Kluge und Reitz auch aufgrund ihres Geschäftssinns möglich war, sich im jungen deutschen Film einen Namen zu machen, gerieten viele, wenn nicht die meisten Manifestanten (unter ihnen keine einzige Frau) in Vergessenheit. Den wenigen Namen, die sich im Lauf der Jahre wie "Briefmarken" (Dörries) als Etikett verwenden ließen, stehen heute jene gegenüber, deren Arbeiten in den Archiven zerfallen.

Doch dahinter steckt mehr als die Wehleidigkeit der Übersehenen. Das Beispiel Oberhausen zeigt, wie sich auch in einer kunstpolitischen Zweckgemeinschaft jene durchsetzen, die die gemeinsame Absicht für das eigene Ziel verwenden (können). Zuvorderst ging es den "Oberhausenern" um geeignete Produktionsbedingungen, während die ästhetischen Vorstellungen der Gruppe in alle Richtungen divergierten. Doch das auf einem einfachen blauen Karton verfasste Manifest wurde zum Mythos vom Urknall des Neuen Deutschen Films, der mit Regiestars wie Rainer Werner Fassbinder, Werner Herzog und Wim Wenders seinen Höhe- und Endpunkt finden sollte.

"Papas Kino ist tot"

Größtes Verdienst der vom Filmhistoriker Ralph Eue klug kuratierten Retrospektive - die mit einer Auswahl Anfang Juni auch im Österreichischen Filmmuseum gastieren wird - ist es deshalb, die Spurensuche anhand nahezu vergessener Arbeiten von Kommilitonen wie Haro Senft (Patience, 1959), Herbert Vesely (Menschen im Espresso, 1958) und Ferdinand Khittl (Der heiße Frieden, 1965) zeitlich und geografisch auszudehnen. Der Legende vom Manifest als Deus ex Machina stehen somit Filme entgegen, die den Auf- und Umbruch charakteristisch vorwegnahmen oder in die späten 60er weitertrugen. Eines der schönsten Beispiele dafür ist Peter Pewas' Vormittag eines alten Herrn (1962), der seinen Protagonisten bei einem Spaziergang durch Wiesbaden begleitet. Menschen und Zeiten haben sich verändert, doch der Alte trägt es mit Humor. In einem Café muss er dann doch Herztropfen zu sich nehmen, dann spaziert er weiter in einen Park - und dämmert auf einer Bank sanft in den Tod hinein. Der Titel der Pressekonferenz für das Oberhausener Manifest lautete: "Papas Kino ist tot". (Michael Pekler, DER STANDARD, 2.5.2012)