Wien - Kein Herzinfarkt oder Anzeichen auf andere akute Erkrankungen, kein Hinweis auf Gewalteinwirkung wie "Risse an der Kleidung oder Ähnliches": Drei Tage nachdem Shukri Ghanem, ehemaliger libyscher Ministerpräsident und Ölminister im österreichischen Exil, von einem Passanten tot in der Neuen Donau treibend aufgefunden wurde, war laut dem Wiener Polizeisprecher Roman Hahslinger weiterhin völlig unklar, warum der 69-Jährige am Sonntag ins Wasser fiel.

Ein vorläufiger Obduktionsbericht, der am Montag veröffentlicht wurde, nennt Ertrinken als Todesursache. Schwimmen habe Ghanem offensichtlich gekonnt, zumindest gebe es keine gegenteiligen Erkenntnisse, sagte Hahslinger dem Standard.

"Die Frage ist also, unter welchen Umständen und wo genau der Mann ins Wasser geriet", sagte Hahslinger. Auch ob der Expolitiker dabei allein gewesen ist. Klar sei, dass der Fundort - 20 Meter vom Ufer entfernt, unweit eines griechischen Restaurants an der Copa Cagrana - nicht der Todesort war. Für Anfang kommender Woche wird ein toxikologischer Befund - ob Ghanem chemische Substanzen im Blut hatte - erwartet.

Umfangreiche Untersuchung

Ob der Expolitiker, der sich seit seiner Abkehr von Libyens Exdiktator Muammar al-Gaddafi im Mai 2011 in Wien als Industrie- Lobbyist versuchte, am Tag seines Todes jemanden getroffen oder mit jemanden telefoniert hat, wird derzeit vom Wiener Landeskriminalamt untersucht. Dort ist die auf Ermittlungen bei Gewaltdelikten spezialisierte "Gruppe Hoffmann" mit den Untersuchungen betraut. Anhängig ist der Fall bei der Staatsanwaltschaft Wien. Dort sagte Sprecher Thomas Vecsey, es würde "umfangreich" ermittelt.

Laut dem österreichischen Handelsdelegierten in Libyen, David Bachmann, hatte Ghanem "viele Feinde". Fest steht, dass rund 1,2 Mrd. Euro aus Ölgeschäften des Gaddafi-Regimes, die in Österreich geparkt und vor einem Jahr gesperrt wurden, inzwischen wieder freigegeben sind. Ghanem dürfte darauf wieder Zugriff gehabt haben so wie ein weiterer Libyenexilant aus dem Gaddafi-Umfeld: Mustafa Zarti, der hier zurückgezogen lebt. (bri/DER STANDARD, 2.5.2012)